Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Die Wirtschaftskommission des Nationalrates hat im Februar 2019 bei zwei Universitätsprofessoren Rechtsgutachten zum Institutionellen Abkommen (= Rahmenabkommen) eingeholt.
Prof. Dr. Philipp Zurkinden, Universität Basel, hat am 21.Februar 2019 der Wirtschaftskommission des Nationalrates ein Gutachten zum Thema Staatsbeihilfen im Institutionellen Abkommen abgeliefert.
Ph. Zurkinden, Institutionelles Abkommen - Rechtsgutachten zuhanden der WAK-N; Fragen zu Staatsbeihilfen und zum Freihandelsabkommen CH - EU sowie zu weiteren Fragen, 21.02.2019.
Er vertritt die These, die Schweiz sei weder EU-Mitglied, noch EU-Beitrittskandidat und daher bezüglich staatlicher Eingriffe in den Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt anders zu behandeln als alle andern 31 am Binnenmarkt beteiligten Länder.
Staatliche Wettbewerbseingriffe mittels Subventionen, Monopol- und Steuerprivilegien zugunsten einzelner Unternehmen seien in der Schweiz von eminent wichtiger wirtschaftlicher und politischer Bedeutung.
Das ergebe sich aus der föderalistischen Struktur der Schweiz, sagt Professor Zurkinden, und aus der Autonomie der Kantone und Gemeinden puncto Wirtschaftsförderungsmassnahmen, auch im Steuerbereich.
Tatsächlich existieren vor allem auf Gemeindeebene sehr subtile administrative Methoden, um ungeliebte auswärtige Konkurrenz fern zu halten und einheimische zu fördern.
Die Kantone arbeiten vor allem mit Steuerprivilegien und gezielter Subventionierung.
Bürokratischer Schikanen bedienen sich Bund und Kantone mit sog. flankierenden Massnahmen, wenn es darum geht, EU-Handwerksbetriebe aus den Nachbarländern aus der Schweiz zu vertreiben.
Die Sonderfall-These ist in der Schweiz weit verbreitet und findet in der Politik viel Zustimmung.
Die Verteidigung von Staatseingriffen in den Wettbewerb mutet seltsam an. Sie widerspricht unserer eigenen Verfassung.
Artikel 27 und Artikel 94 der Schweizer Bundesverfassung postulieren einen umfassenden Schutz des Wettbewerbs.
Vom Staat, einschliesslich Kantonen und Gemeinden, verlangt die Bundesverfassung, er müsse in seinen Handlungen Wettbewerbsneutralität und die Gleichbehandlung direkter Konkurrenten gewährleisten.
Richtig ist allerdings, dass diese Grundsätze in der Praxis oft verletzt werden. Immer wieder bevorzugen Kantone und Gemeinden einzelne Unternehmen und räumen diesen selektiv Vorteile ein.
Das geschieht über Steuerprivilegien, Subventionen oder regulatorische Sonderbehandlungen.
Der Schutz des Wettbewerbs durch die Justiz ist in der Schweiz - im Vergleich zur EU - sehr schwach.
Artikel 27 und 94 der Bundesverfassung sind über weite Strecken toter Buchstabe.
Das Bundesgericht ist ausserordentlich grosszügig, wenn für kantonale und kommunale Staatseingriffe in die Wirtschaft und für eine Ungleichbehandlung von konkurrierenden Marktteilnehmern sogenannt höherwertige öffentliche Interessen aller Art geltend gemacht werden.
Der EuGH engagiert sich deutlicher für die Wettbewerbsneutralität staatlicher Massnahmen.
Er ist in der Anerkennung von Rechtsfertigungsgründen für Staatseingriffe in den Wettbewerb im Binnenmarkt zurückhaltend.
Föderalismus und Autonomiebereich von Kantonen und Gemeinden rechtfertigen auch nach der Bundesverfassung keine Verteilung staatlicher Privilegien an einzelne, behördlich ausgewählte Unternehmen.
Auch direkt-demokratisch gefällte kantonale oder kommunale Beschlüsse, einzelnen Unternehmen Wettbewerbsvorteile einzuräumen, sind damit nicht legitimiert.
Kantone und Gemeinden hätten sich an Artikel 27 und Artikel 94 der Bundesverfassung und an das innerschweizerische Binnenmarktgesetz zu halten.
Weshalb gerade Föderalismus und Gemeindeautonomie, die auch in zahlreichen EU-Staaten existieren, eine wettbewerbsrechtliche Sonderbehandlung allein der Schweiz im europäischen Binnenmarkt erfordern soll, bleibt im Gutachten Zurkinden ohne Erklärung.
Warum ist ein zentraler Grundsatz der schweizerischen Wirtschaftsordnung abzulehnen, wenn er im Rahmen des europäischen Binnenmarktrechts angewendet werden soll?
Die Schweiz ist weder EU-Mitglied, noch EU-Beitrittskandidat. Weder das eine noch das andere rechtfertigt indessen die Verletzung der in unserer Verfassung verankerten Wettbewerbsneutralität des Staates.
Beides rechtfertigt auch keine wettbewerbsrechtliche Sonderbehandlung der Schweiz im europäischen Binnenmarkt in dem Sinne, dass Staatseingriffe in den Wettbewerb grundsätzlich als „Sonderfall-Ereignisse“ gerechtfertigt wären.
Die Schweiz lehnt eine Mitgliedschaft in der EU ab, will sich aber am europäischen Binnenmarkt durch Assoziationsabkommen (Bilaterale Verträge I und II) beteiligen.
Aufgrund der selbst gewählten Nichtmitgliedschaft wirkt die Schweiz an der Gesetzgebung und der letztinstanzlichen Rechtsprechung zum europäischen Binnenmarkt nicht mit.
Aufgrund der Beteiligung am Binnenmarkt durch die Bilateralen Verträge ist sie jedoch verpflichtet, das übernommene europäische Recht einzuhalten. Die Nichtmitgliedschaft ändert daran nichts.
Auch für die Schweiz – wie für jeden andern Beteiligten – gilt der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität im europäischen Binnenmarkt. Der Bundesrat hat dementsprechend schon vor vier Jahren gegenüber der EU anerkannt, dass die Homogenität des Binnenmarktrechts auch für die Schweiz gilt.
Ausnahmen vom Grundsatz der Wettbewerbsneutralität sind im europäischen Recht enthalten. Da die Schweiz an der europäischen Gesetzgebung und Rechtsprechung nicht mitwirkt, hat sie zur europarechtlichen Gestaltung der Ausnahmen und zur Auslegung der Ausnahmen nichts zu sagen. Das ist eine Konsequenz des von der Schweiz gewählten Bilateralismus.
Die These der Europagegner, die Schweiz könne unilateral als Nicht-Mitglied der EU im europäischen Binnenmarkt wettbewerbsrechtliche Privilegien in Anspruch nehmen und einheimische Unternehmen nach politischen Kriterien subventionieren, wird weder bei der EU noch bei den EU-Mitgliedstaaten Gefolgschaft finden.
Wird die These vom Bundesrat übernommen, führt sie nur zu einer Verschlechterung der schweizer Verhandlungsposition.
Selbstverständlich kann der Bundesrat jederzeit auf den schweizer Zugang zum europäischen Binnenmarkt verzichten. Dann können Kantone und Gemeinden - wie bisher - ungefährdet von der Justiz einheimische Unternehmen subventionieren.
27.02.2019