Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Die deutsche AfD und die schweizerische SVP haben dieselbe Weltanschauung: völkischer Nationalismus.
Sie haben dieselben Feinde:
Ausländer und die Europäische Union.
Und sie haben dieselben fanatisierten Anhänger in den sozialen Medien, in den Kommentarspalten und auf der Strasse:
Wutbürger.
In der gleichen ideologischen Schieflage leben die Anhänger von Le Pen, Kickl, Salvini, Farage, Wilders, Erdogan, Trump, Orban, Kaczyński etc.
In der Schweiz bilden die Rechtsnationalen mit einem Viertel der Sitze die grösste Partei im Parlament. Mit zwei von sieben Ministern sind sie in der Regierung vertreten.
Die rechtsnationale SVP/FDP-Regierungskoalition bestimmt seit 2017/18 die schweizer Regierungspolitik.
An nationaler Stärke und Einfluss wird die SVP in Europa nur noch von der Partei Kaczyński in Polen und der Partei Orbans in Ungarn übertroffen.
Soziologen sagen, dass Personen im Mittelstand, die ihren Status in Gefahr sehen, dazu neigen, rechtsnationale Parteien zu unterstützen.
Der rasche technologische Wandel und der tägliche Alarmismus in den allgegenwärtigen sozialen und anderen Medien befördern Verlustängste.
Die von der Nationalbank seit zehn Jahren betriebene Franken-Aufwertungspolitik lässt Löhne und Renten stagnieren, was die Unzufriedenheit fördert.
Die Rechtsnationalen schüren aggressiv mit Verschwörungstheorien das Misstrauen in die bestehenden Institutionen.
Sie versprechen dem Mittelstand die Rückkehr zum nationalen Wohlstand für alle und zum nationalen Höhenflug durch Vertreibung aller Fremdkörper aus der Heimat.
Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit lassen sie in demokratisch verfassten Gesellschaften stark werden, wenn die Gegenwehr versagt.
Das war so in der Weimarer Republik und ist heute nicht anders.
Teile des deutschen Mittelstands wählten 1930 die NSDAP mit 18% in den Reichstag und dann 1933 mit 43%. Kurz darauf folgten die Machtergreifung und die Installation einer Diktatur.
2003 ist die rechtsnationale SVP in den Bundesrat eingezogen, aufgrund der Unterstützung durch die FdP mit einer knappen Mehrheit von zwei Stimmen.
Soziologen sagen, dass der Zufluss von Mitläufern und Trittbrettfahrern zu einer rechtsnationalen Partei – wie zu jeder andern Partei – beträchtlich anschwillt, sobald die Partei in der Regierung sitzt und Posten verteilen kann.
Eine Theorie, die sich seit 2003 auch hierzulande erneut bestätigt hat.
Besonders anfällig für Mitläufer- und Trittbrettfahrertum sind gut ausgebildete junge Leute auf Arbeitssuche.
Sie interessieren sich für staatlich verwalteten Jobs, Mandate in der Verwaltung und bei den Gerichten. Sie wissen, dass die richtige parteipolitische Färbung bei der Jobsuche und bei Beförderungen hilfreich ist.
Der öffentliche Sektor, ohne Gesundheitswesen, Bildung und Verkehr, verwaltet rund 15% der Jobs in der Schweiz, wovon der grösste Teil im oberen Lohnsegment angesiedelt ist.
Dort, wo die Rechtsnationalen dominieren, resultiert daraus eine stets wachsende Toleranz des öffentlichen Sektors zur Parteiideologie.
Die Machtstellung der SVP, seit 2017/18 in Koalition mit der FDP, zeitigt ihre Auswirkungen. „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“ Gilt auch heute.
Die Akzeptanz der rechtsnationalen Ideologie in den Medien ist schon gegen 20 Jahre alt. Die gleiche Entwicklung bahnt sich in den Universitäten an.
Nationalismus ist als politische Haltung angesagt.
Mitläufer und Trittbrettfahrer, die von der Ideologie abweichen, müssen mit Herabsetzung und Jobverlust rechnen. Das diszipliniert enorm.
Das Verhalten der Trump-Administration und der Trump-Gerichte, aber auch der öffentliche Sektor in Polen und Ungarn, sind sprechende Beispiele.
In der Schweiz ist dieselbe Tendenz spürbar.
Im schweizer Parlament verlangt die SVP immer wieder mal die Abwahl von Bundesrichter, die an Urteilen beteiligt sind, die ihrer Ideologie widersprechen. Das bleibt nicht ohne Wirkung.
Gäbe es keine Mitläufer und Trittbrettfahrer im öffentlichen Sektor würde die rechtsnationale Vormachtstellung zusammenbrechen.
Ein Abgleiten des Rechtsstaats durch demokratisch legitimierte Wahlen in ein autoritäres völkisch nationales Regime, ohne Gewaltentrennung, war in der Vergangenheit möglich und ist es auch heute noch, wie die Beispiele Polen und Ungarn belegen.
Man kann es drehen und wenden, wie man will:
auf dem Kontinent ist die gemeinsame Rechtsordnung der Europäischen Union der einzige Hemmschuh, der dieser Entwicklung noch entgegensteht.
Daher ist die Europäische Union das gemeinsame Feindbild aller rechtsnationalen Parteien in Europa.
Wird die nach dem 2. Weltkrieg geschaffene gemeinsame Rechtsordnung gegen den Nationalismus auf dem europäische Kontinent nach dem Willen der Rechtsnationalen zerstört, gilt auch hier wieder das Prinzip „Nationale Macht vor Recht“.
Das mag die einheimischen Rechtsnationalen freuen. Für die Bevölkerung eines Kleinstaates – wie die Schweiz – ist es ein miserables Rezept. Der völkische Nationalismus war Ursache des ersten und des zweiten Weltkriegs.
Um sich vom lästigen gemeinsamen europäischen Recht, insbesondere vom Diskriminierungs-Verbot, zu befreien, hat die SVP die Kündigungsinitiative (oder: Begrenzungsinitiative) lanciert.
Die SVP will damit ihren Beitrag zum erhofften Zerfall der Europäischen Union leisten. Sie will die Schweiz aus dem gemeinsamen europäischen Recht herausbrechen und dem Nationalismus wieder den altbekannten Weg bereiten.
In der Schweiz soll wieder national und souverän darüber entschieden werden, wer aus den europäischen Ländern ethnisch-völkisch zur schweizerischen Volksgemeinschaft passt und wer nicht.
In der Schweiz werden auf kommunaler Ebene ausgefeilte Tests über schweizer Lokalkolorit eingesetzt, um die nationale Gesinnung und ethnische Identität der hier wohnenden Europäer zu verifizieren, wenn sich einer um das schweizer Bürgerrecht bemüht.
Wieder geht es um den Schutz des eigenen vermeintlich einmalig hochstehenden "Volks" und gegen die Vermischung mit andern fremden Menschen auf vermeintlich tieferer Stufe.
Ist es tatsächlich so, dass in der Schweiz grössere Teile des Mittelstands ihren Status in Gefahr sehen und sich von den Rechtsnationalen und ihrer völkischen Ideologie Hilfe erhoffen?
Die Volksabstimmung über die SVP-Kündigungsinitiative wird darauf am 17. Mai 2020 eine Antwort geben.
15.02.2020