Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Streiterledigung à la Brexit

Vereinbarungsentwurf EU / UK

Artikel 162 des Vereinbarungsentwurfs vom 19. März 2018 über den Austritt des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien (UK) aus der Europäischen Union (EU) enthält das Muster für die Streiterledigung, das auch im Falle der Schweiz zur Anwendung kommen wird.

Das Abkommen gewährt UK ab dem EU-Austritt am 30. März 2019 bis 31. Dezember 2020 den Zutritt zum Europäischen Binnenmarkt, analog zum Binnenmarkt-Zutritt der Schweiz nach den Bilateralen Verträgen, wenn auch materiell umfassender.

Besteht ein Streit über die Auslegung oder Anwendung des Abkommens muss sich auf Begehren einer Seite, EU oder UK, der Gemischte Ausschuss damit auseinandersetzen. Diese Regelung gilt bereits heute in den Bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU.

Gemischter Ausschuss aus Beamten

Der Gemischte Ausschuss, der – wie in den Bilateralen Abkommen der Schweiz - paritätisch aus Beamten beider Seiten besteht, soll danach eine Empfehlung zur Erledigung des Streitfalls ausarbeiten.

Der Gemischte Ausschuss ist ein Verwaltungsinstrument der Exekutiven von EU und UK. Gesetzgebungs- und Justizorgane sind grundsätzlich nicht beteiligt.

Das Verfahren ist nicht-öffentlich. Es fehlt jede Transparenz. Es existiert keine allgemein zugängliche Berichterstattung.

Einbezug des EuGH

Der Gemischte Ausschuss EU/UK kann, unter Zustimmung beider Seiten, jedoch jederzeit beschliessen, den Streitfall dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zu unterbreiten.

Tut er dies, ist das darauf folgende Urteil des EuGH für beide Seiten, EU und UK, verbindlich. Diese Regelung ist bisher in den Bilateralen Verträgen der Schweiz nicht enthalten.

Kommt es innert drei Monaten innerhalb des Gemischten Ausschusses zu keiner Erledigung des Streitfalls und unterbreitet der Gemischte Ausschuss den Fall innert dieser Frist nicht dem EuGH, hat jede Partei, EU und UK, für sich allein das Recht, den EuGH anzurufen.

Macht eine Partei, EU oder UK, von diesem Recht Gebrauch, ist das darauf folgende Urteil des EuGH für beide Parteien, EU und UK, verbindlich. Auch diese Regel ist bisher in den Bilateralen Verträgen der Schweiz nicht enthalten.

Grossbritannien hat diese Regelung der Streiterledigung akzeptiert, obwohl Premierministerin May ursprünglich versprochen hat, am 30. März 2019 werde die Jurisdiktion des EuGH aus UK verschwinden. Das Gegenteil ist nun der Fall.

UK muss die Jurisdiktion des EuGH umfassend anerkennen, wenn und solange es Zutritt zum europäischen Binnenmarkt verlangt.

Das gilt, obwohl UK ab dem EU-Austritt am 30. März 2019 nichts mehr zum europäischen Recht zu sagen haben und auch nicht mehr im EuGH und in den europäischen Exekutiv-Gremien vertreten sein wird.

Schweiz als Vasall

UK befindet sich damit während der Übergangszeit bis 31. Dezember 2020 in derselben Lage wie die Schweiz.

UK ist – wie die Schweiz gemäss den Bilateralen Verträgen – von der europäischen Gesetzgebung und Rechtsprechung sowie den europäischen Exekutiv-Gremien ausgeschlossen, muss aber die europäischen Binnenmarktregeln anwenden.

Im britischen Parlament wurde der schweizer Bilateralismus als "Vasallen-Status" bezeichnet, der für UK als Dauerlösung nicht in Frage komme.

Der Bundesrat bezeichnet den schweizer Bilateralismus als „Königsweg“. So gehen die Ansichten auseinander.

Bundesrat will Schiedsgericht

Der Bundesrat hat bisher die Jurisdiktion des EuGH abgelehnt. Daher blieben diverse Streitigkeiten im Gemischten Ausschuss seit Jahren unerledigt.

So beispielsweise der Streit über die Diskriminierung der Handwerksbetriebe aus den Nachbarländern durch die schweizer Gesetzgebung. Diese müssen sich – anders als schweizer Betriebe – 8 Tage vor Arbeitsbeginn bei einer schweizer Behörde anmelden.

Wie UK wird die Schweiz in Zukunft die Jurisdiktion des EuGH anerkennen müssen, wenn und solange sie den Zutritt zum europäischen Binnenmarkt verlangt.

Das sieht inzwischen auch der Bundesrat ein.

Allerdings will er, um den einheimischen Rechtsnationalen entgegen zu kommen – im Sinne eines politischen Feigenblatts, nach dem Gemischten Ausschuss noch ein Schiedsgericht dazwischenschalten.

Das Schiedsgericht muss aber – nach Ansicht der EU und des Bundesrates - Fragen betreffend die Auslegung oder Anwendung des europäischen Binnenmarktrechts dem EuGH zur verbindlichen Vorabentscheidung vorlegen.

Im Ergebnis ändert sich damit an der notwendigen Anerkennung der Jurisdiktion des EuGH nichts.

Das Schiedsgerichtsmodell bringt nur zusätzlichen kostspieligen administrativen Aufwand und verlängert die Streiterledigung. Mit Souveränität hat das Ganze nichts zu tun.

Nationalismus statt
Multilateralismus

Der politisch-ideologische Eiertanz für ein Schiedsgericht entspricht der vom Bundesrat seit mehr als fünfzehn Jahren verfolgten Taktik. Führend dabei ist die SVP/FDP-Koalition in der Regierung.

Statt die Fakten auf den Tisch zu legen, werden sie vom Bundesrat, seinen Staatssekretären und seiner Verwaltung in ihrer Kommunikation vernebelt.

Im Blick auf die regelmässigen Interventionen und wütenden Proteste der einheimischen Rechtsnationalen macht die Regierung einen weiten Bogen um die Tatsachen des Bilateralismus.

Der europäische Binnenmarkt untersteht ausschliesslich europäischem Recht. Alle Beteiligten - auch die Schweiz - müssen das europäische Recht einhalten.

Könnten einzelne Länder davon nach Gutdünken abweichen, würde der Binnenmarkt nicht funktionieren und es müssten zwischen allen Ländern an den nationalen Grenzen in Europa wieder mit tausenden Polizisten und Beamten Kontrollen der Personen, Waren, Dienstleistungen und Devisen stattfinden.

Die Rückkehr des aggressiven Nationalismus des 19./20. Jahrhunderts stünde vor der Tür – von Handelskonflikten, über territoriale Streitigkeiten bis zu Waffengängen.

Den Schaden für Freiheit, Frieden und Wohlstand in Europa müsste man eigentlich nach zwei Weltkriegen, ausgelöst vom Nationalismus, kennen.

Die anti-europäische Ideologie des SVP/FDP-Bundesrats, wonach die Schweiz als Sonderfall im Bilateralismus souverän entscheiden könne, ob sie sich an die gemeinsamen europäischen Binnenmarktregeln halten wolle oder nicht, ist am Ende der Sackgasse angelangt.

Schwexit

Jetzt folgt die politische Wende - der Reset von FDP-BR Cassis geht in Richtung Schwexit.

Die Anhänger eines nationalistischen schweizer Sonderfalls, isoliert ausserhalb der Europäischen Union, triumphieren.

Die bundesrätliche SVP/FDP-Koalition hat die Befürworter einer partnerschaftlichen, rechtlich geordneten, multilateralen europäischen Zusammenarbeit zum Schweigen gebracht oder ausgebootet. Innerhalb und ausserhalb der Bundesverwaltung.

Die Option für eine Zukunft der Schweiz als EU-Mitglied mit geteilter Souveränität in den multilateralen gemeinsamen europäischen gesetzgebenden, rechtsprechenden und exekutiven Institutionen ist von dieser Regierung gestrichen.

Die Zukunft wird zeigen, dass die Schweiz – auch ohne jede Beteiligung an den europäischen Gremien - das wachsende europäische Recht übernehmen und einhalten muss, weil sie die Geografie dazu zwingt.

Die Schweiz ist – anders als Grossbritannien - ein Binnenland, ein Kleinstaat ohne Zugang zum Meer, eine Enklave der EU. Schlechte Bedingungen für souveränen Nationalismus und Schwexit.

20.03.2018

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