Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Standortpolitik mit Steuerprivilegien – ein Auslaufmodell

Einen schönen Teil ihres heutigen Wohlstands hat die Schweiz zwei Einrichtungen zu verdanken:

  • dem grenzüberschreitenden Bankgeheimnis gegenüber dem ausländischen Fiskus und
  • der steuerlichen Privilegierung von Gesellschaften mit Auslandeinkommen.

Das grenzüberschreitende Bankgeheimnis

Das Bankgeheimnis für Kunden, die einem ausländischen Fiskus unterstehen, ist gefallen. Nicht wegen einer Änderung der Schweizer Rechtsordnung, sondern weil die Vereinigten Staaten Schweizer Banken mit hohen Bussen sanktioniert haben und Bankmanager nach der Verhaftung eines früheren UBS-Chefs fürchteten, selbst vor den US-Strafrichter gezogen zu werden. Vorgänge die eigentlich Übergriffe in die Schweizer Rechtsordnung waren, denen jedoch die Schweiz nichts entgegenzusetzen hatte.

An die Stelle des grenzüberschreitenden Bankgeheimnisses ist der automatische Informationsaustausch zugunsten des ausländischen Fiskus getreten. Eine Kehrtwendung um 180 Grad.

Bis in die 90-ziger Jahre war des Bankgeheimnis international wenig angefochten. Ab der Jahrtausendwende haben die Banken den Verkauf des Bankgeheimnisses an ausländische Kunden zu ihrem primären Business Case gemacht. Während früher Auslandskunden in der Regel in die Schweiz kamen, um hier Bankgeschäfte zu erledigen, sandten zuerst die Grossbanken, dann auch die mittleren und kleineren ihre Verkäufer um den Globus, überall dorthin, wo sie finanziell potente Kunden vermuteten, die unter der heimischen Steuerbelastung litten.

Das Geschäft war ein lukrativer Selbstläufer. Wegen der Möglichkeit Steuern zu vermeiden, waren die Kunden bereit, den Banken ohne Murren hohe Gebühren für ein Konto und Depot in der Schweiz zu bezahlen.

Mit dem Verkauf des Bankgeheimnisses im Ausland haben die Banken überzogen. Birkenfeld, ein unzufriedener UBS-Verkäufer für US-Kunden informierte die US-Steuerbehörde 2007 über den Business Case „Ausland-Verkauf des Bankgeheimnisses zur Steuervermeidung“ seiner Arbeitgeberin. Bis zu diesem Zeitpunkt hielten sich die obersten CH-Bankmanager sich für unangreifbar, gegenüber dem Schweizer Staat und gegenüber dem Ausland. Danach brach Panik aus.

Wäre auf den aggressiven Verkauf des Bankgeheimnisses zwecks Steuervermeidung im Ausland verzichtet worden, würde es heute noch bestehen. Die Schweizer Banken-Aufsichtsbehörde hätte es in der Hand gehabt, den Bankmanagern rechtzeitig die Grenzen aufzuzeigen. Sie hat es unterlassen. Über die Gründe kann man nur spekulieren.

Jedenfalls ist, auch für den Schweizer Fiskus, das schöne Geschäft dahin. Heute schreiben ein Drittel der Banken rote Zahlen und die öffentliche Hand spürt den merklichen Rückgang der Fiskaleinnahmen.

Steuerbefreiung der Auslandeinkommen

Jetzt kommt noch ein zweiter Pfeiler des Schweizer Wohlstands ins Wanken: die steuerliche Privilegierung von Gesellschaften mit Auslandeinkommen.

Artikel 28 des Schweizer Steuerharmonisierungsgesetzes gestattet den Kantonen, das Auslandeinkommen von Aktiengesellschaften weitgehend von der Gewinnsteuer zu befreien. Damit bestand vor allem für Firmen aus der EU ein ausserordentlicher Anreiz Gewinne in Schweizer Gesellschaften zu transferieren.

Kapital und Patente werden von internationalen Konzernen seit den neunziger Jahren in grossem Umfang auf Schweizer Gesellschaften übertragen, was auch den Frankenkurs hochtreibt. Damit können sie in der Schweiz steuerfreie oder stark begünstigte Zins- und Lizenzeinnahmen generieren. Im Ausland ziehen die Konzerngesellschaften die abgeführten Zinsen und Lizenzgebühren von den Einkünften ab und minimieren die dortige hohe Steuerbelastung. Im Endeffekt zahlen Konzerne damit Steuern weit unter dem nominalen Satz.

Die EU beanstandete nach 2000 die Schweizer Praxis als Verletzung des Freihandelsabkommens, weil sie zu groben Wettbewerbsverzerrungen führe. In der Sache ginge es allerdings nicht um die Wettbewerbspolitik, sondern um handfestere Interessen. Die EU-Staaten erlitten einen ständigen Abfluss an Steuersubstrat der bei ihnen ansässigen Unternehmen.

Die Schweiz reagierte zunächst nicht oder nur defensiv. Weit verbreitet war die Ansicht, die EU-Staaten würden sich in Steuerfragen nie auf eine gemeinsame Linie einigen. Überhaupt sei damit zu rechnen, dass die EU wegen der Finanzkrise auseinanderfalle. Und: in der Ausgestaltung ihrer Steuerordnung sei die Schweiz souverän und verhandle darüber nicht mit Drittstaaten oder gar mit der EU. Das war die ursprüngliche Position des Bundesrates.

Die Position konnte keine fünf Jahre durchgehalten werden. 2014 ist der Bundesrat vollständig auf die Linie der EU eingeschwenkt und hat die Abschaffung der Steuerprivilegien nach Artikel 28 des Steuerharmonisierungsgesetzes verbindlich zugesagt.

Neue Steuerprivilegien ?

Allerdings möchten Bundesrat, Kantone und Wirtschaftsverbände ersatzweise neue Steuerprivilegien einführen. Die Kantone befürchten andernfalls einen deutlichen Einbruch ihrer Fiskaleinnahmen, die Wirtschaftsverbände möchten selbstverständlich für ihre Mitglieder die eingelebten Privilegien beibehalten.

Als neue Massnahmen stehen mit der Unternehmenssteuerreform III zur Debatte:

  • eine Steuerbefreiung oder Geringbesteuerung von Lizenzeinnahmen
  • der Abzug fiktiver Zinsen auf dem Eigenkapital
  • ein mehrfacher Abzugs von sog. Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen.

Alle drei Massnahmen widersprechen dem verfassungsmässigen Prinzip der allgemeinen und gleichmässigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

Eigentlich müsste man nach den diversen Erfahrungen seit 2000 erkennen, dass Standortpolitik mit Steuerprivilegien ein Auslaufmodell ist. Das Konzernsteuerrecht insbesondere muss heute internationalen Standards folgen. Früher haben es die divergierenden Interessen der Staaten den internationalen Konzernen ermöglicht, ihre Gewinne so zu verschieben, dass sie oft nur mit 2-3% besteuert wurden.

Die Terms of Trade haben sich geändert. Innert zehn Jahren haben die internationalen Standards der Konzernbesteuerung einen ganz neuen Level erreicht. Und die Entwicklung ist nicht abgeschlossen.

Dementsprechend werden neue Steuerprivilegien, wenn sie die Schweiz einführt, nur kurze Zeit überleben. Dass der Bundesrat gegenüber internationalen Standards ausserstande ist, die Schweizer Souveränität durchzusetzen, haben die letzten Jahre für jedermann offen gelegt. Erstaunlich ist, dass man trotzdem auf den alten Geleisen weiter fahren will, jedenfalls so lange wie möglich.

Einzige realistische Lösung: moderate Steuersätze

Ein gutes Steuerklima bleibt ein zentraler Standortvorteil. Das ist zu unterscheiden von Steuerprivilegien für bestimmte Personen oder Firmen. Die einzige vernünftige und nicht angreifbare Massnahme besteht darin, für alle steuerpflichtigen Inländer wie Ausländer und für alle Arten von Einkünften einen möglichst günstigen Steuersatz festzulegen. Davon sind wir noch meilenweit entfernt.

13.07.2015

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