Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Einen schönen Teil ihres heutigen Wohlstands hat die Schweiz zwei Einrichtungen zu verdanken:
Das Bankgeheimnis für Kunden, die einem ausländischen Fiskus unterstehen, ist gefallen.
Nicht wegen einer Änderung der Schweizer Rechtsordnung, sondern weil die Vereinigten Staaten Schweizer Banken mit hohen Bussen sanktioniert haben. Bankmanager fürchteten nach der Verhaftung eines früheren UBS-Chefs, selbst vor den US-Strafrichter gezogen zu werden.
Vorgänge, die massive Übergriffe in die schweizer Rechtsordnung waren, denen jedoch die Schweiz nichts entgegenzusetzen hatte.
An die Stelle des grenzüberschreitenden Bankgeheimnisses ist am 15. Oktober 2013 mit Zustimmung des Bundesrats der automatische Informationsaustausch zugunsten des ausländischen Fiskus getreten.
BDP-BR Eveline Widmer-Schlumpf, ehemals SVP, ist gegenüber den Forderungen von OECD, EU und USA ohne Widerstand eingeknickt.
Die seit dem 2. Weltkrieg heilige Kuh der Banken stürzte, ohne dass sich die Bankmanager und ihre Lobby gemeldet hätten. Die Angst vor den US-Staatsanwälten war zu gross.
Wenige Jahre zuvor hatte FDP-BR Hansruedi Merz der schweizer Öffentlichkeit mitgeteilt, die ausländischen Regierungen würden sich am schweizer Bankgeheimnis die Zähne ausbeissen.
Eine Kehrtwendung der Regierung um 180 Grad.
Bis in die 90-ziger Jahre war das Bankgeheimnis international wenig angefochten.
Ab der Jahrtausendwende haben die Chefs der Grossbanken den Verkauf des Bankgeheimnisses an ausländische Kunden zu ihrem primären Business Case gemacht.
Während früher Auslandskunden in der Regel in die Schweiz kamen, um hier Bankgeschäfte zu erledigen, sandten zuerst die Grossbanken, dann auch die mittleren und kleineren Banken ihre Verkäufer rund um den Globus, überall dorthin, wo sie finanziell potente Kunden vermuteten, die unter der heimischen Steuerbelastung litten.
Das Geschäft war ein lukrativer Selbstläufer. Wegen der Möglichkeit, Steuern in ihrem Wohnsitzstaat zu hinterziehen, waren die Kunden bereit, den Banken ohne Murren hohe Gebühren für ein Konto und Depot in der Schweiz zu bezahlen.
Mit dem Verkauf des Bankgeheimnisses im Ausland haben die Banken überzogen.
Bradley Birkenfeld, ein unzufriedener amerikanischer UBS-Verkäufer für US-Kunden, informierte die US-Steuerbehörde 2007 über den Business Case „Ausland-Verkauf des Bankgeheimnisses zur Steuervermeidung“ seiner Arbeitgeberin.
Für seine Denunziation der UBS erhielt Birkenfeld 2012 von den US-Steuerbehörden eine Belohnung in Höhe von 102 Mio.$. Er soll sich mit dem Geld ein Schloss in Frankreich gekauft haben.
Bis 2007 hielten sich die obersten schweizer Bankmanager für unangreifbar, gegenüber dem schweizer Staat und gegenüber dem Ausland.
Nach der Denunziation Birkenfelds und der Ausstellung von US-Haftbefehlen gegen UBS-Manager durch einen New Yorker Richter brach in den obersten schweizer Banketagen Panik aus.
Wäre auf den aggressiven Verkauf des Bankgeheimnisses zwecks Steuervermeidung im Ausland verzichtet worden, würde es heute noch bestehen.
Die Schweizer Banken-Aufsichtsbehörde FINMA hätte es in der Hand gehabt, unter Hinweis auf die gesetzliche Sorgfaltspflicht den Bankmanagern rechtzeitig die Grenzen aufzuzeigen. Sie hat es unterlassen. Über die Gründe kann man nur spekulieren.
Die FINMA war der Ansicht, die obersten Bankmanager hätten nicht gewusst, dass ihre Angestellten sorgfaltswidrig im Ausland den Kunden das schweizer Bankgeheimnis zum Zweck der Steuerhinterziehung verkauften.
Auf Sanktionen gegen die Verantwortlichen an der Spitze hat die FINMA verzichtet.
Heute schreiben ein Drittel der Banken rote Zahlen und die öffentliche Hand spürt den merklichen Rückgang der Fiskaleinnahmen.
Jetzt kommt noch ein zweiter Pfeiler des Schweizer Wohlstands ins Wanken: die steuerliche Privilegierung von Gesellschaften mit Auslandeinkommen.
Artikel 28 des Steuerharmonisierungsgesetzes gestattet den Kantonen, das Auslandeinkommen von Aktiengesellschaften weitgehend von der Gewinnsteuer zu befreien. Damit bestand vor allem für Firmen aus der EU ein ausserordentlicher Anreiz Gewinne in Schweizer Gesellschaften zu transferieren.
Kapital und Patente werden von internationalen Konzernen seit den neunziger Jahren in grossem Umfang auf Schweizer Gesellschaften übertragen, was auch den Frankenkurs hochtreibt.
Damit können sie in der Schweiz steuerfreie oder stark begünstigte Zins- und Lizenzeinnahmen generieren.
Im Ausland ziehen die Konzerngesellschaften die abgeführten Zinsen und Lizenzgebühren von den Einkünften ab und minimieren die dortige hohe Steuerbelastung. Im Endeffekt zahlen Konzerne damit Steuern weit unter dem nominalen Satz.
Die EU beanstandete nach 2000 die Schweizer Praxis als Verletzung des Freihandelsabkommens, weil sie zu groben Wettbewerbsverzerrungen führe.
Primär ging es allerdings nicht um die Wettbewerbspolitik, sondern um handfestere Fiskalinteressen. Die EU-Staaten erlitten einen ständigen Abfluss an Steuersubstrat der bei ihnen ansässigen Unternehmen.
Die Schweiz reagierte zunächst nicht oder nur defensiv. Regierung und Banken waren die Ansicht, die EU-Staaten würden sich in Steuerfragen nie auf eine gemeinsame Linie einigen.
Überhaupt sei damit zu rechnen, dass die EU und der Euro wegen der Finanzkrise kollabierten.
Ausserdem sei die Schweiz in der Ausgestaltung ihrer Steuerordnung souverän und verhandle darüber nicht mit Drittstaaten oder gar mit der EU. Das war die Position des Bundesrates.
Die Position konnte keine fünf Jahre durchgehalten werden.
2014 ist der Bundesrat vollständig auf die Linie der EU eingeschwenkt.
BDP-BR Widmer-Schlumpf, ehemals SVP, hat der EU die Abschaffung der Steuerprivilegien nach Artikel 28 des Steuerharmonisierungsgesetzes verbindlich zugesagt.
Allerdings möchten Bundesrat, Kantone und Wirtschaftsverbände ersatzweise neue Steuerprivilegien einführen.
Die Kantone befürchten andernfalls einen deutlichen Einbruch ihrer Fiskaleinnahmen, die Wirtschaftsverbände möchten für ihre Mitglieder die eingelebten Privilegien beibehalten.
Als neue Massnahmen stehen mit der Unternehmenssteuerreform III zur Debatte:
Alle drei Massnahmen widersprechen dem verfassungsmässigen Prinzip der allgemeinen und gleichmässigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
Eigentlich müsste man nach den diversen Erfahrungen seit 2000 erkennen, dass Standortpolitik mit Steuerprivilegien ein Auslaufmodell ist.
Das Konzernsteuerrecht insbesondere muss heute internationalen Standards folgen.
Früher haben es die divergierenden Interessen der Staaten den internationalen Konzernen ermöglicht, ihre Gewinne so zu verschieben, dass sie oft nur mit 2-3% besteuert wurden.
Die Terms of Trade haben sich geändert. Innert zehn Jahren haben die internationalen Standards der Konzernbesteuerung einen ganz neuen Level erreicht.
Und die Entwicklung ist nicht abgeschlossen.
Dementsprechend werden neue Steuerprivilegien, wenn sie die Schweiz einführt, nur kurze Zeit überleben.
Dass der Bundesrat ausserstande ist, die schweizer Steuersouveränität durchzusetzen, haben die letzten Jahre für jedermann offen gelegt.
Erstaunlich ist, dass die Regierung trotzdem auf den alten Geleisen weiter fahren will, jedenfalls so lange wie möglich.
Ein gutes Steuerklima bleibt ein zentraler Standortvorteil. Das ist zu unterscheiden von Steuerprivilegien für bestimmte Personen oder Firmen.
Die einzige vernünftige und nicht angreifbare Massnahme besteht darin, für alle steuerpflichtigen Inländer wie Ausländer und für alle Arten von Einkünften einen möglichst günstigen Steuersatz festzulegen. Davon sind wir noch meilenweit entfernt.
13.07.2015