Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Prioritäten in der St.Galler Spitalpolitik

Ein Interview der Linthzeitung mit ED, 16.10.2019

Linthzeitung (LZ):
Eugen David, die Gesundheitskosten klettern steil nach oben. In den letzten 20 Jahren haben sich diese verdoppelt ...

Eugen David (ED):
Diese Zahl muss auf das Volkseinkommen bezogen werden. In dieser Zeit stieg der Anteil der Gesundheitskosten von rund 10 auf 12 Prozent. Es ist völlig legitim, 12 Prozent des Volkseinkommens für die Gesundheit auszugeben.
Die Gesundheit ist das wichtigste Gut des Menschen.

LZ:
Trotzdem ist dieser Anstieg enorm.

ED:
Es gibt noch beträchtliche Effizienzprobleme. Beispielsweise verbietet das Gesetz den Wettbewerb bei Medikamentenpreisen.
Oder: nicht indizierte Operationen häufen sich in einzelnen medizinischen Disziplinen.
Oder: Tarife berücksichtigen die kostensenkende Wirkung neuer Technologien und Therapien nicht.
Hier sind der Bundesrat und das Parlament gefordert

LZ:
Es sind Wahlen, und das Thema Lobbyismus ist omnipräsent. Wie war das zu Ihrer Zeit?

ED:
Das ist immer so vor den Wahlen. Dabei ist es völlig normal: Der Mensch vertritt Interessen. Der Politiker, der das nicht tut, den gibt es gar nicht. Wichtig dabei aber ist die Transparenz. Die Geldflüsse an Politiker und Parteien sollten transparent sein.

LZ:
Sie amteten als Verwaltungsratspräsident des Krankenversicherers Helsana. Wie unabhängig kann man da überhaupt agieren?

ED:
Mir war es immer ein Anliegen, dass die Prämienzahler korrekt behandelt werden – das ist natürlich auch im Interesse der Kunden der Versicherung.
Entscheidend ist, dass alle Interessensgruppen sich im Parlament Gehör verschaffen können, dann gibt es zwar «Mais» und man muss einen Kompromiss finden. Das ist meiner Meinung nach nicht schlecht gewährleistet.

LZ:
Wie könnte der Kanton die Gesundheitskosten optimieren?

ED:
Es gibt drei Ziele, die die Kantonsregierung gleichzeitig verfolgen will: Qualität, Wirtschaftlichkeit und wohnortsnahe Versorgung. Das Dilemma ist, dass sich diese drei Ziele nicht unter einen Hut bringen lassen.
Die wohnortsnahe Versorgung wird zu hoch gewichtet. An erster Stelle sollte die Qualität stehen. Die grosse Zahl Spitäler wirkt sich negativ auf die Qualität aus.

LZ:
Inwiefern?

ED:
Die nötigen Fallzahlen werden nicht erreicht. Es gibt Operationen, wie z.B. an der Bauspeicheldrüse, die schweizweit in kleineren Spitälern nur einmal jährlich durchgeführt werden. Da ist es unmöglich, dass der Operateur und dessen Team die entsprechende Qualität erreicht.

LZ:
...weil die Routine fehlt.

ED:
Klar. Der operierende Arzt trägt eine grössere Verantwortung als ein Flugzeugpilot. Dementsprechend benötigt er genügend Fallzahlen wie ein Pilot seine Flugkilometer vorweisen muss. Am Schluss ist für den Patienten die Qualität das Wichtigste. Vor einem Eingriff informiert man sich, wo diese Operation am besten durchgeführt wird.
Der Patient scheut dabei keine Kantonsgrenzen. Aus kantonaler Sicht hört die Spitalplanung an der Grenze auf.
Das ist der Preis des Föderalismus. Durchaus hat es seinen Wert, wenn kleinere Bevölkerungsregionen mitentscheiden können. Die Struktur muss aber darauf ausgerichtet sein, dass die Qualität der Spitäler gewährleistet ist. Dann bleiben die Patienten im Kanton. Rund ein 15% lässt sich ausserhalb behandeln.
Der starke Anstieg der letzten Jahre ist nicht abgeschlossen. Das zeigt sich wohl auch im Linthgebiet mit der Nähe zu Lachen, Glarus oder dem Kanton Zürich.

LZ:
Fehlt da nicht auch eine Spitalplanung auf Bundesebene?

ED:
Es braucht nicht mehr Planung. Wichtig ist die richtige Prioritätsordnung in der Planung: 1. Qualität 2. Wirtschaftlichkeit 3. Regionalpolitik.

LZ:
Was wäre eine konkrete Strategiemassnahme für die Nachfolger von Gesundheitsministerin Heidi Hanselmann?

ED:
Die Regierung muss die Kriterien richtig ordnen. Wenn die wohnortsnahe stationäre Versorgung oberstes Kriterium bleibt, muss mit wirtschaftlichen und qualitativen Nachteilen gerechnet werden. Dass Angehörige möglichst kurze Wege für einen Patientenbesuch haben, kann nicht ausschlaggebend für die Spitalplanung sein.
Die richtige Prioritätsordnung muss auch politisch kommuniziert werden.

LZ:
Hätte das nicht schon lange geschehen sollen?

ED:
Doch. Aber Frau Hanselmann hatte versprochen: «Ich schliesse keine Spitäler.» Ich verstehe, dass sie nicht davon abweichen will. Aber das Versprechen hat sich überlebt.

LZ:
Wieso?

ED:
Weil die Situation nach der KVG-Revision 2012 eine ganz andere ist. Mit der freien Spitalwahl und der neuen Leistungsabgeltung auf der Basis der Patientenbehandlungen veränderten sich für die Spitäler die Rahmenbedingungen deutlich. Da kann Frau Hanselmann nichts dafür.
Aber ihr Versprechen lässt sich unter den neuen Bedingungen nicht halten.

LZ:
2014 entschied das Parlament und das Volk, rund eine Milliarde Franken in die Spitäler zu investieren – ein Fehler?

ED:
Ja. Die Ausgangslage änderte sich davor. Es wurde verpasst, die Lage vertieft zu analysieren. Insbesondere die Tatsache, dass Patienten das Spital nach Qualitätsgesichtspunkten neu frei wählen können und dazu keine Bewilligung des Kantons mehr brauchen.
Und dass Spitaldefizite – wenn nicht genügend Patienten da sind - nicht mehr dem Prämienzahler belastet werden können, sondern vom Steuerzahler zu tragen sind.

LZ:
Müssen diese nun geschlossen werden?

ED:
Was will die Bevölkerung? Was wollen die Patienten? Was hat Priorität: Qualität oder eine hohe Spitaldichte? Beides geht nicht.
Das muss kommuniziert und sollte im Parlament diskutiert werden. Allein die Aussagen „Spitäler schliessen“ oder “nicht schliessen“ überzeugen nicht. Im Bildungssektor ist es auch möglich, Schulen zu fusionieren, um Qualität und Kosten im Griff zu haben. Die Bevölkerung lässt sich überzeugen.

LZ:
Demnach müssen Spitäler schliessen.

ED:
Sicher benötigt der Kanton St.Gallen eine Neuorientierung in der Spitalplanung. In medizinischen Bereichen, unter Einschluss der Grundversorgung, wo die Fallzahlen für die Qualitätssicherung auf Dauer viel zu tief sind, muss auf die entsprechenden Angebote verzichtet werden. Das kann zu Spitalschliessungen führen.

LZ:
Was erwarten Sie von den neuen Massnahmen, die der Kanton in den nächsten Tagen veröffentlicht?

ED:
Ich bin gespannt und weiss nicht, was vorgeschlagen wird.
Das Parlament hat der Vorsteherin des Gesundheitsdepartementes die operative Kompetenz für die kantonseigenen Spitäler entzogen. Jetzt denkt der Verwaltungsrat anders als die Politik. Obwohl der Kanton die Kosten trägt – das ist keine gute Lösung. Kompetenz und Verantwortung gehören zusammen.

LZ:
Mit welchen Konsequenzen?

ED:
Der Regierung sollte sich auf die Regulierung (Spitalplanung, Tarife, Aufsicht, Zulassungen etc.) konzentrieren. Die öffentlichen Spitäler sollten von öffentlichen Trägern, die auf regionaler Ebene zu schaffen wären, geführt werden. Auch bei der Erfüllung anderer öffentlichen Aufgaben wurden solche Lösungen gewählt.

16.10.2019

zur Publikation als PDF