Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Das Bundesgesetz vom 21. Dezember 2007 über die neue Spitalfinanzierung (Artikel 39, 41, 49 und 49a KVG) ist seit 1. Januar 2009 in Kraft.
Einführungszeitpunkt war gemäss den Übergangsbestimmungen der 1. Januar 2012.
Die Gesundheitskommission des Ständerates hat in den Jahren 2004 - 2006 die wesentlichen Eckwerte entwickelt.
Der Bundesrat hoffte mit einem ausgeprägt planwirtschaftlichen Ansatz - ausgearbeitet vom Bundesamt für Gesundheit - die Kostenentwicklung im stationären Bereich in den Griff zu bekommen.
Sein Modell sah vor, dass die 26 Kantone je für ihre Bevölkerung die Gesundheitsversorgung planwirtschaftlich organisieren:
einerseits sollten die Kantone für jedes Spital im Kanton bestimmen, welche Leistungen es zu erbringen hat,
anderseits sollte die Bevölkerung des Kantons im Krankheitsfall faktisch behördlich den einzelnen Spitälern zugewiesen werden.
Für sich selbst sah der Bundesrat planwirtschaftliche Interventionsinstrumente vor, sofern die kantonale Planwirtschaft nicht die erwünschten Resultate zeitigen sollte.
Dieses Modell, das die Verwaltung des Departements des Innern (EDI) entwickelt hatte, wurde zunächst von SP BR Dreifuss vertreten, danach von ihrem Nachfolger FDP BR Couchepin
Die entscheidenden Impulse der Gesundheitspolitik kommen aus der Verwaltung und nicht von der Regierung. Die Verwaltung neigt zu planwirtschaftlichen Lösungen.
Die Gesundheitskommission des Ständerates favorisierte eine wettbewerbliche Alternative.
Deren Kernpunkt ist das Wahlrecht des Versicherten und Patienten, in der ganzen Schweiz das ihm zusagende Spital zu wählen.
Bedingung ist lediglich, dass das Spital im Standortkanton des Spitals oder im Wohnsitzkanton des Patienten als Leistungserbringer anerkannt ist.
Mit dieser Regelung sollten die 26 politisch zementierten und ineffizienten kantonalen Spitalmonopole aufgebrochen werden.
Vier Gründe waren dafür ausschlaggebend:
Wegen der rasanten medizinischen Entwicklung, Technik und Spezialisierung war die Behandlungsqualität in der alten Struktur nicht mehr gewährleistet.
Für viele stationären Behandlungen waren die Fallzahlen und damit der Erfahrungshorizont der Behandlungsteams nach internationalen Standards viel zu gering, um qualitativ zu genügen.
Ein optimaler Einsatz der knappen personellen und materiellen Ressourcen – und damit der Prämien- und Steuergelder - war in der alten Struktur nicht mehr möglich.
Die Kapazitäten konnten nicht organisch an die Nachfrage der Patienten und an die medizinische Entwicklung angepasst werden, sondern folgten politischen Vorgaben.. Überall bestanden Über- oder Unterkapazitäten ohne Aussicht auf einen zeitgerechten Ausgleich.
Die Kapazitätsplanung und –steuerung durch politische Behörden hatte sich immer deutlicher als teuer, intransparent und ineffizient herausgestellt. Vielfach fehlte auch die Sachkunde.
In mehreren Kantonen war die Planung wegen politischer Differenzen und Ansprüchen völlig zum Stillstand gekommen.
Die traditionelle paternalistische Zuweisungsphilosophie im Gesundheitswesen passt nicht mehr in die moderne Gesellschaft. Im Grundsatz ist vom mündigen Bürger und Patienten auszugehen.
Die Bevormundung darf nicht der Regelfall sein, sondern muss Ausnahme bleiben.
Der Patient soll das Spital, dem er vertraut, in der Schweiz selbst wählen dürfen.
Dieses Postulat wurde teilweise von kantonalen Gesundheitsdirektoren und Berufsorganisationen des Gesundheitswesens abgelehnt.
Es ging um Macht über Patientenströme, um Absicherung von Jobs durch amtliche Patientenzuweisung und um politische Steuerung von Investitionen.
Oft wurde im Spitalbereich mit öffentlichen Mitteln in Bauten und Geräte aus politischen, nicht aus medizinischen und ökonomischen Gründen investiert.
Fehlinvestitionen waren im alten System an der Tagesordnung, oft von Prestige beeinflusst. Das neue System verdeckt sie nicht mehr.
Die Ansicht, eine sozial gerechte Gesundheitsversorgung könne nur gewährleistet werden, wenn der Staat die Leistungen abgibt und auch bestimmt, wer welche Leistungen bekommt, überzeugt nicht.
Die soziale Gerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung wird durch das Versicherungsobligatorium, das Prämienverbilligungssystem und die Einspeisung von öffentlichen Steuermitteln zur partiellen Deckung von Leistungsvergütungen zuverlässig gewährleistet.
Es braucht keine zusätzliche staatliche Leistungssteuerung in 26 Spitalmonopolen aus sozialpolitischen Gründen.
Macht- oder verbandspolitische Aspekte werden gerne sozialpolitisch getarnt, sind aber keine Rechtfertigung.
Das Wahlrecht des Patienten kann seine Steuerungswirkung für eine qualitativ hochstehende Spitallandschaft Schweiz mit optimalem Ressourceneinsatz nur entfalten, wenn die Spitalbetreiber ihre Einnahmen nach Krankenversicherungsgesetz, ungeachtet der Trägerschaft, über die Patientenerlöse für konkret erbrachte Leistungen erzielen.
Daher sieht das realisierte Modell der Gesundheitskommission des Ständerates nicht nur für die dem Spital zufliessenden Prämienmittel, sondern auch für die dem Spital zufliessenden Steuermittel die Subjektfinanzierung vor, d.h. alle Mittel fliessen über den Patienten als Vergütung für die vom Spital für den Patienten erbrachte Leistung.
Der Bundesrat wollte die öffentlichen Steuermittel wie unter der alten Struktur auf dem Weg der Objektfinanzierung als Subvention dem Spital zukommen lassen.
Damit wäre die wettbewerbliche Orientierung der Spitalstrukturen unterbunden worden.
Wie bisher hätten planwirtschaftliche Vorgaben, durchgesetzt mittels entsprechender Subventionen, die Entwicklung bestimmt.
Die Türe für Objektfinanzierungen mittels Subventionen nach politischen Kriterien ist allerdings nicht ganz verschlossen.
Zum einen sagt das Krankenversicherungsgesetz selbst, dass die Aufrechterhaltung von Spitalstrukturen aus regionalpolitischen Gründen mittels Subventionen möglich ist, auch wenn dies, von den Patientenerlösen her betrachtet, nicht zu rechtfertigen wäre.
Die Aufrechterhaltung solcher Strukturen ist ein politischer Infrastrukturentscheid, der nicht aus gesundheitspolitischen, sondern aus verteilungspolitischen Gründen gefällt wird.
Die unvermeidbar eintretenden Betriebsdefizite werden ausschliesslich mit kantonalen Steuergeldern – ohne Prämiengelder – gedeckt.
Zum zweiten ist es den Kantonen vom Bundesrecht her nicht verboten, aufgrund von kantonalem Recht Subventionen an Spitäler auszuschütten, zum Beispiel für Investitionen in Gebäude und Einrichtungen, für unterlassene Abschreibungen oder zur Deckung von Betriebsdefiziten.
Kantone, die Subventionen beibehalten oder neu beschliessen, lassen allerdings ihre Steuerzahler für das Spitalwesen doppelt bezahlen.
Einmal zahlen sie 55% der konkreten Spitalrechnungen der Kantonseinwohner.
Jede einzelne Spitalrechnung beinhaltet die Vergütung für sämtliche Leistungen des Spitals, auch für die Bereitstellung von Gebäuden, Räumen und Einrichtungen sowie für die Bereitstellung des Notfalldienstes und aller Spezialeinrichtungen, die für die medizinische Behandlung des Patienten notwendig sind.
Zum zweiten zahlen sie nochmals Subventionen für sog. „öffentliche Interessen“ (Beispiel Kanton Waadt) oder für neue Gebäude und Einrichtungen (Beispiel Kanton St.Gallen), obwohl auch all diese Leistungen bereits über den kantonalen Anteil an den konkreten Spitalrechnungen der Kantonseinwohner vollständig abgegolten sind.
Die Subventionen verdecken die Tatsache, dass die entsprechenden Spitalstrukturen Betriebsdefizite ausweisen.
Es ist klar, dass die Weiterführung der Subventionen, neben der Übernahme von 55% der Spitalrechnung, nicht nur die öffentlichen Haushalte überbelastet, sondern damit auch eine Wettbewerbsverzerrung verbunden ist.
Die zusätzlichen Subventionen werden in der Regel jenen Spitälern zugewiesen, deren Eigner die betreffenden Kantone selbst sind, damit sie einen Wettbewerbsvorteil erhalten.
Bei der Beratung des Gesetzes ist dieser Punkt diskutiert, aber nicht entschieden worden.
Das Risiko einer gewissen Wettbewerbsverzerrung wurde in Kauf genommen, in der Erwartung, dass die kantonalen Parlamente und die kantonalen Stimmbürgerinnen und Stimmbürger Exzessen im Bereich der von den Regierungen allenfalls verlangten Doppelzahlungen eigenverantwortlich Schranken setzten werden.
Doppelzahlungen sind für den kantonalen Haushalt – und damit für den kantonalen Steuerzahler – ausserordentlich kostspielig.
Doppelzahlungen könnten sich für den Kanton auch in seiner Eigenschaft als Eigner als Bumerang herausstellen.
Die mit zusätzlichen Subventionen genährten Spitalstrukturen erhalten kurzfristig einen Wettbewerbsvorteil, mittelfristig verlieren sie aber ihre Wettbewerbsfähigkeit, auch qualitativ, weil sie aufgrund des üppigen Geldflusses die notwendigen organisatorischen und strukturellen Anpassungen ihres Leistungsangebotes vermeiden können.
Ist die Wettbewerbsfähigkeit einmal dahin, erleidet der Eigner der Einrichtung in der Regel einen Kapitalverlust, der sich bis zu einem Totalverlust auswachsen kann.
Das Gesetz über die Reform der Spitalfinanzierung wäre beinahe gescheitert. Die rechtsnationale SVP drohte dem Gesetz nicht zuzustimmen, nachdem SVP BR Blocher in der gleichen Parlamentssession nicht mehr in den Bundesrat gewählt worden war. Die Klippe wurde umschifft.
16.07.2013