Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Schweizer Europa-Gegner behaupten gerne die Machtlosigkeit der kleineren Staaten in der Europäischen Union.
Die Realitäten zeigen ein anders Bild.
Ein interessantes Beispiel ist Portugal.
Das Land hat 10.3 Mio. Einwohner und eine Fläche von 92'226 km2. Die Schweiz hat 8.55 Mio. Einwohner und eine Fläche von 41'277 km2.
Die EU hat 450 Mio. Einwohner und eine Fläche von 4'233'000 km2.
Bezogen auf die EU-Einwohnerzahl macht die Einwohnerzahl Portugals 2.3% Prozent aus, jene der Schweiz 1.9% Prozent. Bezogen auf die EU-Fläche macht die Fläche Portugals 2.2% aus, jene der Schweiz 1%.
Die beiden Länder sind bezüglich Einwohnerzahl und Fläche vergleichbar. Die Schweiz hat aktuell eine grössere Wirtschaftskraft.
2016 hat Portugal die UEFA-Fußball-Europameisterschaft gewonnen.
Der Portugiese Salvador Sobral war mit dem Song «Amar Pelos Dois» im Eurovision Song Contest 2017 Sieger.
Solche Ereignisse können natürlich das Vorurteil schweizer EU-Gegner aus der rechtsnationalen Szene, wonach kleinere Staaten in Europa nichts zu melden haben, nicht erschüttern.
Aber es gibt aber weitere Fakten:
Durão Barroso, der frühere portugiesische Ministerpräsident, war während 10 Jahren, bis 2014, Präsident der EU-Kommission und hat als solcher die europäische Entwicklung massgeblich geprägt.
Das Kommissions-Präsidium ist eines der drei wichtigsten Ämter in Europa.
Seit 2014 hat es der frühere luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker aus Luxembourg inne. Luxemburg ist ein sehr kleiner, aber wirtschaftlich potenter Staat.
Im Januar 2017 übernahm der ehemalige portugiesische Ministerpräsident Antonio Giterres das Amt des Generalsekretärs der UNO. Zuvor war er von 2005 bis 2015 UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge.
Portugal hatte für das höchste Amt in der Weltorganisation die Unterstützung praktisch aller europäischen UN-Mitgliedstaaten.
Und gerade eben, im Dezember 2017, wurde der gegenwärtige portugiesische Finanzminister, Mario Centeno, zum Präsidenten der Eurogroup gewählt.
Die Eurogroup bestimmt im Wesentlichen die Politik der Eurozone und damit nicht nur die Entwicklung des Euro, sondern auch des Schweizer Frankens.
Die Wahl erfolgte, obwohl Portugal nach der Finanzkrise 2008 mit schweren Problemen zu kämpfen hatte und Darlehen aus der Euro-Gruppe beanspruchen musste. Heute hat Portugal die Krise überwunden.
Vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, zur Zeit des Kalten Krieges, nahmen schweizer Persönlichkeiten in zahlreichen internationalen Organisationen immer wieder Spitzenpositionen ein.
Das hat weitgehend aufgehört, obwohl sich das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) redlich um Positionen für Schweizer in internationalen Organisationen bemüht, aber immer wieder scheitert.
Die Schweiz, die sich auf dem europäischen Kontinent als Sonderfall versteht, und jede Mitwirkung in den europäischen Gremien ablehnt, hat sich aussen- und insbesondere europapolitisch isoliert.
Die selbst gewählte Isolation wird von den übrigen europäischen Ländern selbstverständlich akzeptiert, aber sie wird nicht verstanden.
Warum übernimmt die Schweiz laufend und immer mehr europäisches Recht, lehnt es aber ab, sich an den europäischen Gremien, die das europäische Recht beschliessen, zu beteiligen?
Das ist rational nicht zu erklären.
Die Regierung sagt, die Schweiz, obwohl ein relativ kleines Binnenland ohne Zugang zum Meer und Enklave der EU, ist national absolut souverän und neutral. Nationalismus ist aktueller Mainstream.
Deswegen lehnt sie eine geteilte Souveränität in den europäischen gesetzgebenden Gremien ab, will aber laufend mehr europäisches Recht übernehmen. Das ist das Konzept des Bilateralismus seit den Bundesratswahlen 2003/2004.Damals sind SP-BR Calmy-Rey, FDP-BR Merz und SVP-BR Blocher neu in den Bundesrat eingetreten. Alle drei mit der Überzeugung, ein Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union komme nicht in Frage. Die EU gilt seither als politischer Gegner und nicht als Partner.
Die schweizer Rechtsnationalen der SVP erwarten seit 1992 die Auflösung der EU und seit 1999 den Kollaps des Euro.
Unter dem Einfluss der rechtsnationalen Ideologie der SVP meint der Bundesrat seit 2003/2004, der Bilateralismus sei der souveräne Weg der Schweiz in die Zukunft.
Ein Nonsens. Der Bilateralismus ist weder souverän, noch neutral, sondern führt in eine einseitige Abhängigkeit von der EU.
In allen internationalen Organisationen sprechen sich die EU-Mitgliedstaaten ab und vereinbaren nach Möglichkeit eine gemeinsame Linie. Dies gilt insbesondere für die Besetzung von Leitungsfunktionen.
Die Schweiz ist von diesen Absprachen ausgeschlossen.
Die europäischen Länder sehen wegen der Ablehnung der Europäischen Union durch die Schweiz in der Regel keinen Anlass, Bewerbungen der Schweiz für Positionen in internationalen Organisationen zu unterstützen.
Die Hoffnung des Aussenministeriums, man werde – gerade wegen der Gegnerschaft zur EU – von mächtigen aussereuropäischen Staaten, wie den USA, Russland, China, Türkei, Iran oder Indien - unterstützt, hat sich als irrationales Wunschdenken herausgestellt.
In der Konfrontation mit den USA wegen der Holocaust-Gelder der schweizer Grossbanken und wegen der Steuerhinterziehung mittels des schweizer grenzüberschreitenden Bankgeheimnisses konnte die Schweiz als europäischer Aussenseiter auf keinerlei Solidarität der Amerikaner, Russen, Chinesen, Türken, Iraner oder Inder zählen.
Die Europäer unterstützten die Forderungen der USA und die Schweiz musste überall klein beigeben.
In der OECD ist die Schweiz vollständig isoliert und kann trotz des dort geltenden Einstim-migkeitsprinzips die massiven Eingriffe der G20, im Verbund mit der OECD, in das schweizer Steuersystem nicht verhindern.
Ob Mitwirkung und Mitbestimmung auf europäischer Ebene – wie im Fall Portugal – oder – wie im Fall der Schweiz – Isolation und Verzicht auf Mitbestimmung in den europäischen Gremien für das betroffene Land bessere Chancen bietet, wird die Zukunft zeigen.
Die allgemeine Lebenserfahrung im persönlichen Bereich spricht gegen das Letztere. Der Brexit wird für die Schweiz neue Erkenntnisse liefern.
12.12.2017