Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Pflegeversicherung
Der kantonale Pflegebeitrag nach KVG


Die Pflegeversicherung

Mit Bundesgesetz vom 13. Juni 2008 [AS 2009 3517] hat der Bund die Pflegefinanzierung neu geordnet.

Das Gesetz trat am 1. Januar 2011 in Kraft [AS 2009 3517]. Kern bildet der neue Artikel 25a KVG [SR 832.10] über die Pflegeleistungen bei Krankheit.

Danach wird die Pflege in Pflegeheimen aus drei Quellen finanziert:

  1. Die obligatorische Krankenversicherung (OKP) leistet einen Beitrag je nach Pflegebedarf, der vom Bundesrat festzulegen ist [Art. 33 Bst. i KVV].

    Der Beitrag der OKP an die Kosten der Pflegeleistung in Pflegeheimen [Art. 25a Abs. 1 KVG] beträgt derzeit CHF 27.- pro Stunde (Stand 2013) oder CHF 0.45 pro Minute [Art. 33 Bst.i KVV, 7a Abs.3 KLV].

    Das zeitliche Ausmass der von der OKP zu finanzierenden Pflege beginnt bei der tiefsten, ersten Bedarfsstufe mit 20 Minuten pro Tag und endet bei der höchsten, zwölften Bedarfsstufe mit 220 Minuten pro Tag [Art. 25a Abs. 4 KVG, 33 Bst. i KVV, 7a Abs. 3 KLV].

  2. Der versicherte Patient leistet einen Beitrag, der höchstens 20% des Höchstbetrages des von der OKP zu leistenden Beitrags ausmachen darf [Art. 25a Abs. 5 Satz 1 KVG], was derzeit CHF 21.60 pro Tag entspricht [20% von CHF 108; Art. 7a Abs. 3 Bst. l KLV]

  3. Der Wohnkanton der versicherten Person erbringt den verbleibenden Restbetrag der Pflegekosten [Art. 25a Abs. 5 Satz 2 KVG].

Was Pflegeleistungen, Pflegebedarf und Pflegekosten sind, bestimmt das Bundesrecht.

  • Als Pflegeleistungen gelten Pflegemassnahmen, die im Pflegeheim aufgrund einer Abklärung des Pflegebedarfs auf ärztliche Anordnung hin erbracht werden [Art. 25a Abs. 3 KVG, 33 Bst. d KVV, 7 Abs.1 Bst. c KLV]

  • Als Pflegebedarf gilt der individuelle Hilfebedarf der versicherten Person, der sich aufgrund ärztlicher Diagnose, dem Umfeld des Patienten und seiner Gesamtsituation sowie der Planung der notwendigen Massnahmen, zusammen mit dem Arzt und dem Patienten, ergibt [Art. 8 KLV].

  • Als Pflegekosten gelten die Aufwände in Franken nach Pflegebedarf für Pflegeleistungen, die in der notwendigen Qualität, effizient und kostengünstig erbracht werden [Art. 25 Abs. 4 KVG].

Der vom Wohnsitzkanton zu leisten Beitrag an die Pflege in Pflegeheimen (sog. "Restfinanzierung") errechnet sich nach KVG wie folgt:

  1.   Pflegekosten
  2.   ./. Beitrag der Krankenversicherung der versicherten Person
  3.   ./. Beitrag der versicherten Person
  4.   = Beitrag des Wohnsitzkantons der versicherten Person (Kantonaler Pflegebeitrag / sog. "Restfinanzierung")

Der kantonale Pflegebeitrag

Das kantonale Recht kann innerkantonal regeln, welches Gemeinwesen (Kanton oder Wohnsitzgemeinde) für den kantonalen Pflegebeitrag aufkommt.

Der Kantonale Pflegebeitrag ist ein sozialversicherungsrechtlicher, subjektbezogener Beitrag an die versicherte Person nach KVG.

Es handelt sich um keine Finanzhilfe (Subvention) an Pflegeheime oder für Pflegeheimplätze im Sinne einer Objektfinanzierung. Der Kantonale Pflegebeitrag fällt unter den Anwendungsbereich des ATSG [SR 830.1].

Bezüglich der Pflegekosten, des Beitrags der Krankenversicherung und des Beitrags der versicherten Person lässt das Bundesrecht den Kantonen keinen Regelungsspielraum.

Insbesondere dürfen das kantonale Recht und die kantonale Verwaltungspraxis weder direkt noch indirekt dazu führen, dass der von der versicherten Person pro Tag zu leistende Maximalbeitrag an die Pflege von CHF 21.60 überschritten wird.

Ist dies der Fall ist die entsprechende Regulierung bundesrechtswidrig.

Die Ermittlung der Pflegekosten

Alle Pflegekosten im Sinne des KVG, die für die Pflege einer versicherten Person anfallen, sind durch die Pflegeversicherung nach KVG zu decken.

Wenn und soweit es sich um Pflegekosten nach KVG handelt, können die Kantone bei der Berechnung des kantonalen Pflegebeitrags weder einzelne Arten von Pflegekosten ausnehmen, noch die Pflegekosten betragsmässig limitieren.

So kann das kantonale Recht einzelne KVG-Pflegemassnahmen, zum Beispiel Massnahmen zugunsten der Mobilität des Patienten für täglich notwendige Lebensverrichtungen, wie Aufstehen, Zubettgehen, Ernährung und Hygiene, nicht als Betreuungsmassnahmen qualifizieren und aus den Pflegekosten ausgliedern.

Das KVG gestattet dem Kanton auch nicht, gegenüber der versicherten Person den kantonalen Pflegebeitrag für KVG-Pflegemassnahmen betragsmässig zu limitieren.

Will ein Kanton zur Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots nach Artikel 32 KVG Vorschriften machen, so kann er dies nicht dadurch, dass er den kantonalen Pflegebeitrag an die versicherte Person limitiert.

Vielmehr muss er den Pflegeheimen entsprechende tarifliche Vorschriften machen und gleichzeitig sicherstellen, dass den versicherten Personen keine KVG-Pflegekosten unter dem Titel Pension oder Betreuung überwälzt werden.

Macht der Kanton nur Tarifvorschriften, welche die Pflegekosten der Pflegeheime nach KVG nicht decken und verzichtet gleichzeitig auf die Gewährleistung des Überwälzungsverbots, liegt auf der Hand, das KVG-Pflegekosten als Pensions- oder Betreuungskosten den versicherten Patienten überbunden werden.

Die Abgrenzung der Pflegekosten
von den Betreuungskosten

Die bundesrechtlich unzulässige Überwälzung von KVG-Pflegekosten wird in jenen Kantonen noch erleichtert, in welchen die Pflegeheime aufgrund kantonaler Vorgaben, ungeachtet der Art, des Ausmasses und des Preises von Betreuungsleistungen, von den versicherten Patienten normative pauschale Betreuungszuschläge von 20 – 25% zu dem von der OKP zu leistende Pflegebeitrag erheben.

Die in einzelnen Kantonen vertretene Ansicht, die Pflegekosten seien aufgrund von statistischen Durchschnittswerten „standardisiert“ von den Betreuungskosten abzugrenzen, aber nicht im Einzelfall, hält vor Artikel 25a Absatz 5 KVG nicht stand.

Der individuelle sozialversicherungsrechtliche Anspruch der versicherten Person nicht mit mehr als mit einem Beitrag von CHF 21.60 pro Tag für Pflegekosten belastet zu werden, würde damit aufgehoben.

Versicherte, die nicht dem „Standard“ entsprechend, müssten einen weit höheren Anteil der Pflegekosten tragen als nach Artikel 25a Absatz 5 KVG zulässig.

Dazu kommt, dass die gelegentlich angewandten statistischen Durchschnittswerte auf keiner zuverlässigen Datenbasis beruhen und eine sehr breite Streuung aufweisen. Eine Datenerfassung nach einheitlichen Kriterien ist nicht gewährleistet.

Analysen von Curaviva/Curatime haben aufgezeigt, dass generell zu hohe Betreuungskosten ausgewiesen werden.

Strukturkosten werden entgegen den Anforderungen des Preisüberwachers nicht auf die Bereiche Pension, KLV-Pflege und Betreuung proportional aufgeteilt, sondern einseitig über Betreuung den Patienten belastet.<7p>

Ausserdem hat sich gezeigt, dass – entgegen der angewandten Praxis – die Betreuungskosten, auch mit den statistischen Durchschnittswerten, nicht proportional zu den Pflegekosten zunehmen.

Den Kantonen steht indessen nach Bundesrecht so oder so nicht frei, im Einzelfall für die Abgrenzung von KVG-pflichtiger Pflege und nicht-KVG-pflichtiger Betreuung auf statistische Durchschnittswerte abzustellen.

Pflegebedarf und Betreuungsbedarf müssen nach Bundesrecht individuell, bezogen auf die konkrete versicherte Person, ermittelt werden.

Für die Ermittlung des Sachverhalts im Einzelfall zur korrekten Abgrenzung der Pflegekosten von den Betreuungskosten sind die verfahrensrechtlichen Vorschriften des ATSG massgebend.

31.03.2013

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