Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
In einem Interview der „NZZ am Sonntag“ vom 28.02.21 meint der ehemalige Nationalbankpräsident und heutige Vizevorsitzende der US Investmentgesellschaft BlackRock Hildebrand, die Schweiz habe in den letzten Jahren auf dem internationalen Parkett an Bedeutung eingebüsst.
Er ist enttäuscht.
Die EU-Mitgliedländer haben ihn, als Schweizer, bei seiner Kandidatur als OECD-Generalsekretär nicht unterstützt.
Seine Reaktion ist verständlich und entspricht der Realität.
Bedeutung und Resonanz der Schweiz in internationalen Organisationen sind seit der EWR-Abstimmung 1991 europäisch und global in einem Sinkflug.
Wenn es in internationalen Organisationen um Kandidaturen aus der Region Europa geht, stimmen sich die EU-Mitgliedländer ab, bündeln ihre Stimmrechte und schlagen einen Kandidaten aus ihren Reihen vor.
Dasselbe gilt bei Initiativen zu Sachfragen in europäischen oder globalen Gremien.
Die Schweiz ist bei der Vorbereitung von Kandidaturen oder Initiativen nicht beteiligt. Sie wird von den EU-Gremien nicht eingeladen.
Die einheimischen Rechtsnationalen, welche gegenwärtig die Politik des Bundesrates bestimmen, sehen darin keinen Nachteil.
Schweizer Kandidaten und Initiativen in internationalen Gremien sind nach SVP-Weltanschauung suspekt, jedenfalls aber überflüssig.
Internationale Kooperation auf europäischer Ebene und Beteiligung am europäischen Binnenmarkt halten sie für geradezu schädlich.
Die EU ist seit dreissig Jahren ihr sorgsam gepflegtes Feindbild.
Neuerdings sind die Gewerkschaften und Teile der SP auf den rechtsnationalen Zug aufgesprungen.
Sie halten den europäischen Binnenmarkt und seine gemeinsamen Regeln ebenfalls für schädlich.
Abschottung, Protektionismus und Schutz der gewerkschaftlichen Einnahmen aus Arbeitsplatzkontrollen haben Priorität.
Die vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes werden abgelehnt:
Die EU-Gegnern bekämpfen ausserdem gemeinsamen Regeln über Wettbewerbskontrolle, Unternehmenssubventionen und öffentliche Auftragsvergabe im europäischen Binnenmarkt und werden dabei vom Bundesrat unterstützt.
Herr Hildebrand meint, die Schweiz müsse sich dringend die Frage stellen, wie das Land seine Interessen auch im Jahr 2040 noch wahren könne.
Europa sei für unsere Generation keine Option.
Sein Vorschlag:
Angesichts ihres Reichtums müsse die Schweiz vor allem Finanzdiplomatie betreiben und sich Singapur zum Vorbild nehmen.
Der Schweizer Finanzminister, SVP-Bundesrat Maurer, war bereits in diesem Sinne unterwegs.
Er machte Visite beim Russen Putin, beim Türken Erdogan, beim Amerikaner Trump, beim Chinesen Xi Jin-ping, beim Saudi Mohammed bin Salman.
In Trumps Gästebuch hinterliess er am 16.05.19 die Botschaft:"Thank your for your invitation to the withe house Togethe ahead Ueli Maurer Präsident Switzerland".
Auch das Reich des Diktators Lukaschenko hatte Bundesratsbesuch und wurde mit einer Botschaft beschenkt.
Länder mit autoritären Führern sind bevorzugtes Ziel aussen- und finanzpolitischer Aktivitäten der gegenwärtigen Regierung.
Die Länder sind in der Hand von Oligarchen und ihren Cliquen.
Oligarchen und ihre Gefolgsleute wollen mit ihrem Geld diskret zu den Schweizer Banken.
Sie suchen hier Land und Villen und versorgen ihren Nachwuchs in Privatschulen.
Xi Ping will die Schweiz mit Unterstützung der SVP-Bundesräte Maurer und Parmelin zum europäischen Basislager für sein Mega-Projekt Belt & Road machen.
Putin hat seine Nord Stream AG, mit der er Europa sein Gas verkaufen will, in Zug/CH positioniert.
Arabische Scheiche gehören zu den wichtigsten Eigner der Grossbanken.
Warum bleiben die Oligarchen nicht ihren Ländern, wenn sie dort doch herrschen?
Diktatoren und ihr Anhang leben in steter Angst vor einem Umsturz, der sie und ihre Familien um Leib, Leben und Vermögen bringen könnte.
Eine Fluchtburg mit Tresor an einem sichern Ort steht zuoberst auf ihrer Wunschliste.
Die Schweiz und ihre Wirtschaft stehen finanzdiplomatisch bereit, den Wunsch für Bares zu erfüllen.
Ist diese schweizerische Dienstleistung eine taugliche Perspektive für unser Land im europäischen und globalen Kontext in den nächsten Jahrzehnten? Gewinnt die Schweiz mit Hilfe der Oligarchen und den Milliarden der Nationalbank wieder Bedeutung und Anerkennung auf internationalem Parkett?
Die Regierung lehnt aus ideologischen Gründen jede aktive Mitwirkung und Mitentscheidung in den europäischen Gremien ab, obwohl sie weiss, dass dort die Zukunft Europas und der Schweiz gestaltet wird.
Die alternative Perspektive Europa wird seit 18 Jahren verdrängt und mit Denkverboten belegt.
Obwohl die Schweiz (noch) am europäischen Binnenmarkt beteiligt ist und die europäischen Gesetze einhalten muss, ist in der Bundesverwaltung Europa ein Tabu.
Für die aktuelle Regierung ist es undenkbar, beim ideologischen Feindbild mitzuwirken.
Oligarchen, die bereits in der Schweiz leben oder schon Schweizer sind, setzen viel Geld ein, damit es so bleibt.
Sie wissen, dass sie die US- und EU-Finanzaufsicht und die US- und EU-Staatsanwälte zu fürchten haben, nicht aber die Finanzaufsicht oder die Staatsanwälte der Schweiz.
Die Fälle FIFA und Beckenbauer und der Zustand der Schweizer Justiz sprechen eine deutliche Sprache.
Das Amt des obersten Staatsanwalts des Bundes ist Spielball der Parteien und kann seit Monaten nicht besetzt werden.
In der Bundesstrafjustiz - ebenfalls parteipolitisch verseucht - finden Grabenkämpfe unter den Richtern statt. Die Straffälle verjähren.
Der Präsident der zuständigen Gerichtskommission des Parlaments, Caroni, macht öffentlich bekannt, in seiner Kommission herrschten kriminelle Zustände.
Da ist Korruption nicht mehr weit.
All das ist den Oligarchen und ihren Gehilfen im Lande nicht entgangen.
Das Schweizer Volk soll sich mit Finanzdiplomatie für Oligarchen und dem unkontrollierten internationalen Wirken des Geldes der Nationalbank, nach Gutfinden ihrer Direktoren, abfinden, andere aussenpolitische Perspektiven gibt es in Europa und der Welt nicht. Ausschlaggebend bleibt, ob die Kasse stimmt.
Das Schweizer Volk kann sich mit direkter Demokratie gegen diesen unappetitlichen Weg und für die Zusammenarbeit und Mitgestaltung in Europa, unserem Kontinent, entscheiden.
Alles ist nur eine Frage des Willens.
28.02.2021