Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Das Kroatien-Dilemma
der Rechtsnationalen

Kroatien ist am 1. Juli 2013 als 28. Mitgliedstaat der Europäischen Union beigetreten. Es hat grundsätzlich den gesamten Rechtsbestand der EU übernommen.

Formell erfolgte die Übernahme des EU-Rechts, einschliesslich der Staatsverträge, automatisch mit dem Inkrafttreten des Beitritts am 1.Juli 2013.

Ausgenommen von diesem Automatismus waren jene Staatsverträge mit Drittstaaten, welche nach EU-Recht sowohl von der EU als Ganzes als auch von jedem einzelnen Mitgliedstaat genehmigt werden müssen (sog. Gemischte Abkommen).


Von den Bilateralen Verträgen gehört nur das Personenfreizügigkeitsabkommen [PFZA] zu den Gemischten Abkommen.

In alle andern Abkommen der EU mit der Schweiz ist Kroatien automatisch mit dem Beitritt eingetreten. D.h. sie haben heute schon Geltung.

Rechtslage in der Schweiz

Soll die Personenfreizügigkeit auch mit Kroatien zur Anwendung kommen, muss die Schweiz mit der EU und mit allen EU-Mitgliedstaaten, einschliesslich Kroatien, ein neues Abkommen über die Ausdehnung des PFZA auf Kroatien abschliessen.

Dieses Abkommen, das der Bundesrat und die EU-Kommission bereits Ende 2013 ausgehandelt, aber noch nicht unterzeichnet haben, läuft unter der Bezeichnung Kroatien-Protokoll.

Seit dem 9. Februar 2014 bestimmt Artikel 121a BV, dass die Schweiz die Zuwanderung mit Kontingentsvorschriften und Schweizervorrang am Arbeitsmarkt eigenständig steuern muss.

Laut derselben Bestimmung darf die Schweiz keine anderslautenden völkerrechtlichen Verträge abschliessen.

Bereits abgeschlossene Staatsverträge gehen Artikel 121a BV vor. Das Bundesgericht hat diese Rechtslage erst kürzlich wieder bestätigt.

Dementsprechend hat Artikel 121a gegenüber EU-Bürgern der bisherigen 27 Mitgliedstaaten keine Wirkung, solange das PFZA vom 21. Juni 1999 weder von der Schweiz noch von der EU gekündigt wird.

Das Protokoll betreffend Kroatien, dem 28. EU-Mitgliedstaat, ist ein neuer Staatsvertrag, mit welchem die Schweiz neu auf die eigenständige Steuerung der Zuwanderung aus Kroaten mittels Kontingenten und Inländervorrang am Arbeitsmarkt verzichtet.

Weder die bisherigen Abkommen mit der EU, noch mit einem EU-Mitgliedstaat (einschliesslich Kroatien) verpflichten die Schweiz zum Abschluss eines solchen Abkommens.

Demnach greift der seit 09.02.2014 geltende Artikel 121a Absatz 4 BV, wonach die Schweiz ein solches Abkommen nicht abschliessen darf.

Der Bundesrat kam zutreffend zum Schluss, er könne das Kroatien-Protokoll wegen des neuen MEI-Artikels nicht mehr unterzeichnen.

Reaktion der EU

Alle EU-Organe (EU-Parlament, EU-Rat, EU-Kommission) haben nach der Nicht-Unterzeichnung des Kroatien-Protokolls dem Bundesrat mitgeteilt, dass die EU eine Ungleichbehandlung der EU-Bürgerinnen und EU-Bürger nicht akzeptieren kann.

Im Falle einer definitiven Ablehnung des Kroatien-Protokolls, müsste die Schweiz mit der Kündigung des PFZA durch die EU rechnen. Dies hätte wiederum nach sechs Monaten automatisch die Ausserkraftsetzung der Bilateralen I zur Folge.

Die EU hat dem Bundesrat ausserdem mitgeteilt, ohne Abschluss des Kroatien-Protokolls vor dem 9. Februar 2017 bleibe die Schweiz vom europäischen Forschungsrahmenprogramm Horizont 2020 ausgeschlossen.

Politische Hektik

Daraus ergibt sich Zeitdruck. Im Jahr 2016 muss sich die Schweiz über ihre Haltung zum Kroatien-Protokoll schlüssig werden.

Eine Referendumsabstimmung müsste im Herbst 2016 über die Bühne gehen.

Der drohende definitive Ausschluss von der europäischen Forschung hat die Berner Politik in Trab gesetzt.

Plötzlich verlangen Parlamentarier eine rasche Genehmigung des Kroatien-Protokolls, ohne Rücksicht auf die vom Volk am 09.02.2014 beschlossene Verfassungsbestimmung, wonach die Schweiz keine solchen völkerrechtlichen Verträge abschliessen darf.

Die politischen Prioritäten werden neu gesetzt. An die erste Stelle rückt der Schutz des Forschungsplatzes Schweiz, die sog. Masseneinwanderung samt zugehöriger Verfassungsbestimmung wird sekundär.

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Parlamentsmehrheit das Kroatien-Abkommen, trotz dem Verfassungsverbot durchwinkt, wächst von Tag zu Tag. Der Bundesrat wird sich dem nicht widersetzen.

Warum ? Niemand will das Ende des Binnenmarktes für die Schweiz, mit allen Nachteilen für den Wirtschafts- und Forschungsplatz, verantworten.

Zumal eine politische Begründung auf dem Tisch liegt:

Das Kroatien-Protokoll unterliegt dem fakultativen Referendum. Das Volk kann also seinen MEI-Beschluss vom Februar 2014 in einer Referendumsabstimmung bestätigen oder dann eben korrigieren.

Nach schweizer Verfassungspraxis ist das legal. Das Volk kann sich in einem Referendum über die Verfassung hinwegsetzen.

Das gilt auch dann, wenn gegen ein dem Referendum unterliegender verfassungswidriger Parlamentsbeschluss über ein Gesetz oder einen Staatsvertrag kein Referendum zustande kommt. Auch in diesem Fall hat das Volk der Missachtung der Verfassung zugestimmt.

Um dem Volk das letzte Wort zu geben, muss das Parlament dem Kroatien-Protokoll zustimmen, auch wenn damit Artikel 121 Absatz 4 BV verletzt wird.

Ein Verfassungsgericht, welches das Parlament zurückpfeifen könnte, existiert nicht. Es bleibt nur die Referendumsabstimmung.

Das Dilemma der Rechtsnationalen

Hier beginnt das Dilemma der Rechtsnationalen. Sie stehen vor der Frage, ob sie das Referendum ergreifen sollen oder nicht.

Wenn sie glaubwürdig bleiben und ihren MEI-Artikel durchsetzen wollen, müssen sie das Referendum gegen das Kroatien-Protokoll ergreifen.

Dann lösen sie einen Abstimmungskampf über das Ende der Bilateralen und des Forschungsplatzes Schweiz aus. Eine solche Abstimmung zu gewinnen, dürfte nicht einfach sein.

Im Falle einer Niederlage müssen sie damit rechnen, dass das Personenfreizügigkeitsabkommen auf unbestimmte Zeit bestehen bleibt.

Ungeachtet Artikel 121a BV wird für EU-Bürger keine eigenständige schweizerische Steuerung der Zuwanderung mittels Kontingenten und Schweizervorrang am Arbeitsmarkt stattfinden. Alles keine erfreulichen Perspektiven.

Sollten sie trotz aller Gegenwehr die Abstimmung gewinnen, sind sie es, die das plötzliche Ende der Bilateralen mit allen politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen für die Schweiz herbeigeführt haben.

Auch keine erfreuliche Perspektive. Ihr Führer SVP aBR Blocher will zwar das Ende, will aber nicht für die Folgen direkt verantwortlich sein.

Wenn sie diesen negativen Szenarien ausweichen wollen und auf ein Referendum verzichten, machen sie sich bei ihren rechtsnationalen Anhängern unglaubwürdig. Das mag noch angehen.

Schlimmer ist, dass sie sich in derselben Lage wiederfinden, wie wenn sie die Abstimmung verloren hätten: ungeachtet Artikel 121a BV wird auf unbestimmte Zeit für EU-Bürger keine eigenständige schweizerische Steuerung der Zuwanderung mittels Kontingenten und Schweizervorrang am Arbeitsmarkt stattfinden.

Mit dem Verzicht auf das Referendum halten sie den Schwarzen Peter für die Nichtumsetzung von 121a BV selbst in der Hand.

Sollten in Zukunft weitere Länder der Europäischen Union beitreten, wird ungeachtet Artikel 121a BV dasselbe Programm ablaufen.

03.03.2016

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