Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Während in der Europäischen Union 400 Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger ihr Parlament wählen, nimmt das Feindbild EU in der Schweiz immer groteskere Züge an.
Der Blick, ein Boulevardblatt aus dem Ringier-Verlag in Zürich, freut sich allen Ernstes, dass die Schweiz in den rechtsnationalen Parteien der EU endlich neue Freunde gefunden habe.
Wie die Schweizer, meint das Blatt, wünschen sich diese den Untergang der EU.
Der Walliser SVP-Regierungsrat Freisinger aus der rechtsnationalen Ecke preist Putin, weil der totalitäre Autokrat mit der Annexion der Krim die EU in Schranken gewiesen und dem russischen Nationalismus neue Perspektiven gegeben habe.
Das hat offenbar Vorbildcharakter für unser Land.
Meinungsfreiheit erträgt selbstverständlich auch schrille Töne. Betroffen macht die grosse Gefolgschaft bei solchen Ausfällen.
In immer kürzeren Abständen erscheinen Berichte, dass die Schweiz in vielen Gebieten an der Spitze der weltweiten Ranglisten stehe, in der Demokratie, in der Wirtschaft, bei den Banken, in der Wissenschaft, im Reichtum, bei den Steuern etc. etc.
Man ist Primus
Auf der andern Seite muss das Land erleben, dass seine bisherige Wertordnung nicht mehr auf allgemeine globale Zustimmung stösst, ja in kürzester Frist geradezu unter die Räder kommt, wie im Fall des Bankgeheimnisses oder im Fall der schweizer Steueroase.
Leute aus SVP und FDP - auch Regierungsmitglieder - schwörten, an diesen Säulen der schweizer Wirtschaftspolitik werde sich das Ausland die Zähne ausbeissen.
Eine fundamentale Fehleinschätzung. Selbst die Drohung aus der SVP, man werde den Gotthardtunnel für Ausländer sperren, half nichts.
Nun will die Europäische Union die mit der Masseneinwanderungsinitiative beschlossene Diskriminierung von EU-Bürgern nicht akzeptieren.
Politik und Medien argumentieren, die hiesige Volksdemokratie stehe auf der höchsten Stufe der Wertordnung.
Wenn in einer Volksabstimmung Diskriminierungen, Steuerhinterziehung oder Missachtung von Grundrechten eine Mehrheit finden, sei das im In- und Ausland von jedermann zu akzeptieren.
Diese Argumentation wird von der EU und den USA nicht mehr akzeptiert.
Die EU verlangt die Einhaltung des europäischen Rechts, das die Schweiz mit den Bilateralen Verträgen übernommen hat. Die USA verlangen die Einhaltung der Beschlüsse der G7 gegen die grenzüberschreitende Steuerhinterziehung.
Könnte die grosse Gefolgschaft der rechtsnationalen EU-Gegner in unserem Land auch mit Verunsicherung, Angst und mangelndem Selbstvertrauen zu tun haben?
Das Bankgeheimnis und die Verabsolutierung der direkten Demokratie gehörten zum zentralen Wertebestand im Selbstbild der Schweiz, wie Banken, Uhren Schokolade und Käse.
Schon der Untergang der Swissair und die Übernahme Schon der Untergang der Swissair und die Übernahme der Swiss durch die deutsche Lufthansa waren schwer zu verdauen. Swiss durch die deutsche Lufthansa waren schwer verdauliche Kost.
Das Selbstbild hat Sprünge, die nicht leicht zu reparieren sind.
Wer als Primus an der Spitze aller möglichen Ranglisten steht, müsste doch eigentlich nichts zu befürchten haben. Alle müssten seinem Beispiel folgen.
Das Problem besteht darin, dass andere Länder auf dem europäischen und dem globalen Parkett den schweizer Sonderfall nicht wahrnehmen, nicht wahrnehmen können oder wollen.
Nicht wenige halten sich selbst auch für einen Sonderfall. Ethnischer Exzeptionalismus und völkischer Nationalismus wachsen nicht nur in der Schweiz.
Die meisten Länder stellen uns in die gleiche Reihe wie x-beliebige andere Kleinstaaten und erwarten eine konstruktive Zusammenarbeit im gegenseitigen Interesse.
Die EU-Administration behandelt die Schweiz - als Staat ausserhalb der EU und des EWR und ohne Kandidatenstatus - in der gleichen Gruppe wie Monaco, Andorra und San Marino.
In der OECD hatte die Schweiz in den streitigen Steuerfragen keinerlei Unterstützung von Drittländern.
Kommt es zu keiner konstruktiven Zusammenarbeit, bleibt die Schweiz oft unbeachtet - gerade auch in internationalen Organisationen.
Oder wie es bei den unmittelbaren Nachbarländern Italien, Frankreich und Deutschland zunehmend der Fall ist: die frühere positive Grundstimmung wechselt in gegenseitiges Misstrauen, Blockade und Ablehnung.
Oder wie im Fall USA bei der Aufhebung des grenzüberschreitenden Bankgeheimnisses: wir werden einfach überfahren und niemanden kümmert es.
Persönliche Beziehungen von schweizer Regierungsmitgliedern zu Ministern in EU-Ländern, wie sie früher bestanden haben - namentlich in der Ära des deutschen Bundeskanzlers Kohl oder des Italieners Andreotti - existieren nicht mehr.
Der Bundesrat hat 2012 das Integrationsbüro aufgehoben.
Ein deutliches Signal an die Europäer, dass die Schweiz mit Europa nichts am Hut hat, sondern als Sonderfall sich selbst genügtund so behandelt werden will.
Zusammenarbeit auf dem europäischen Kontinent passt nicht in das Weltbild der rechtsnational dominierten schweizer Regierung.
Freunde und Bewunderer sind rar geworden. Das kratzt am eigenen Selbstvertrauen.
Viele können und wollen nicht verstehen, weshalb die andern uns nicht im gleichen hellen Licht sehen, wie wir uns selbst. Auf diesem Boden wachsen in unserem Land feindselige Gefühle gegen die Nachbarn und gegen die EU, die medial mit Ausdauer kräftig gedüngt werden.
Dass gerade die EU als Sündenbock herhalten muss, ist deswegen speziell, weil die Amerikanern zur Durchsetzung ihrer Interessen unsere Regierung weit mehr zur Aufgabe jeder Souveränität gezwungen haben als jemals die Europäer.
Sich selber gelegentlich zu hinterfragen ist keine Schande, im Gegenteil es schützt vor Dummheiten. Wer ohne Partner dasteht und sei er ein Primus, wird erpressbar wie das Lehrstück USA zeigt.
22.05.2014