Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Das Institutionelle Abkommen (= Rahmenabkommen) sei Gift für die Sozialpartnerschaft lässt der Gewerkschaftsbund (SGB) durch seinen Sekretär und Chefökonom Daniel Lampart im Dezember 2018 in der NZZ mitteilen.
Vom andern Ende des politischen Spektrums kommt in derselben Zeitung im Januar 2019 das Echo vom Direktor des Gewerbeverbandes (SGV), FDP NR Hans-Ulrich Bigler: “Wir wollen die Sozialpartnerschaft nicht auf Druck der EU preisgeben.“
Beide lehnen das Institutionelle Abkommen ab, das der Bundesrat in einem vierjährigen Prozess mit der EU ausgehandelt hat.
Nach europäischem Rechts, das die Schweiz ab 1999 übernommen hat, sollen weder Arbeitnehmer noch Unternehmen im europäischen Binnenmarkt diskriminiert werden, wenn sie grenzüberschreitend einer beruflichen oder geschäftlichen Erwerbstätigkeit nachgehen.
Auf dem schweizer Arbeitsmarkt sollen Arbeitnehmer aus den andern Binnenmarkt-Ländern vom Staat nicht schlechter behandelt werden als inländische Arbeitnehmer.
Auf dem schweizer Markt für Waren und Dienstleistungen sollen Handwerksbetriebe aus den Nachbarländern vom Staat nicht schlechter behandelt werden als einheimische.
Schweizer Arbeitnehmer und Betriebe haben in den Binnenmarktländern denselben Rechtsanspruch auf Nichtdiskriminierung.
Weshalb sollen, laut Daniel Lampart, SGB, und Hans-Ulrich Bigler, SGV, diese Grundsätze des europäischen Rechts die Sozialpartnerschaft in der Schweiz in Frage stellen?
Nach europäischem Recht können Gewerbeverband und Gewerkschaftsbund so viele Gesamtarbeitsverträge (GAV) abschliessen wie sie wollen. Sie können darin Mindestlöhne in beliebiger Höhe vereinbaren.
Sie können im GAV vereinbaren, dass alle Betriebe acht Tage vor Ausführung eines Auftrags die Namen der beschäftigten Arbeitnehmer, ihre persönlichen Daten und die bezahlten Löhne den Gewerkschaften melden müssen.
Sie können in GAV vereinbaren, dass sich alle Betriebe und Arbeitnehmer vor Ausführung eines Auftrags Lohnkontrollen der Gewerkschaft und des Gewerbeverbandes unterziehen müssen.
Sie können vereinbaren, dass alle Handwerksbetriebe vor Arbeitsbeginn eine Kaution von CHF 10‘000 zahlen müssen, damit allfällige Bussen wegen GAV-Verletzungen abgesichert sind.
Das alles verletzt kein europäisches Recht, sofern nicht nur die ausländischen, sondern auch die inländischen Betriebe diesen Vorschriften unterstellt sind. Entscheidend ist die Gleichbehandlung.
Die Sozialpartnerschaft hat unter den Binnenmarktregeln ein freies Spielfeld. Ob alles im Interesse der Betroffenen ist, steht auf einem andern Blatt.
Wo liegt also das Problem? Ganz woanders – jedenfalls nicht bei der Sozialpartnerschaft.
Hand in Hand kämpfen Gewerkschaftsbund und Gewerbeverband für die Abschottung der Preis- und Lohninsel Schweiz vor der ungeliebten Konkurrenz aus den benachbarten Ländern
Gemeinsames Ziel beider Organisation ist Protektionismus an der Grenze, analog dem Protektionismus für die Landwirtschaft.
Die Gewerkschaften wollen keine Arbeitnehmer aus den andern Binnenmarktländern in der Schweiz sehen. Der Gewerbeverband will keine Handwerksbetriebe aus den benachbarten Binnenmarktländern in der Schweiz sehen.
So wie die Bauern keine Milch aus den Nachbarländern sehen wollen.
Um das zu erreichen, sollen Arbeitnehmer und Handwerksbetriebe aus den benachbarten Ländern mit möglichst hohen bürokratischen Hürden - wie schikanösen Meldepflichten, Lohnkontrollen, Formularen, Kautionen und Bussen - von der Schweiz ferngehalten werden.
Inländische Arbeitnehmer und Betriebe sind selbstverständlich von solchen Pflichten befreit. Sie sollen ja bevorteilt werden. Es geht darum, ungeliebte Konkurrenten mit staatlicher Bürokratie und Schikanen vom schweizer Markt fernzuhalten.
Die Schweiz hat sich mit den bestehenden Bilateralen Abkommen ab 1999 verpflichtet, ausländische Arbeitnehmer und Betriebe nicht zu diskriminieren.
Der Bundesrat hat sich mit dem Entsendegesetz ab 2006 darüber hinweg gesetzt und die Forderungen von Gewerkschaften und Gewerbeverband nach staatlichen Barrieren gegen die Konkurrenz aus den Nachbarländern erfüllt.
Die EU pocht auf Einhaltung des Diskriminierungsverbots und verlangt deswegen ein institutionelles Abkommen.
Gewerkschaften und Gewerbeverband wollen an der Diskriminierung festhalten.
Für den Vollzug der Vorschriften des Entsendegesetzes hat der Bund den Kantonen die Einsetzung von sog. tripartiten Kommissionen vorgeschrieben. Darin sind laut Gesetz Gewerkschafts- und Gewerbesekretäre vertreten.
Sie und Branchenvertreter kontrollieren den Zutritt der Mitbewerber aus den Binnenmarktländern zum schweizer Markt.
Die kantonalen Steuerzahler bezahlen die Verbandssekretäre in diesen Gremien. Die Verbände haben Anspruch auf eine Entschädigung aus der Steuerkasse jener Kosten, die ihnen aus dem Vollzug des Entsendegesetzes zusätzlich zum üblichen Vollzug des GAV entstehen.
Für die ganze Schweiz geht es um mehrere Millionen Franken.
Die Verbände sind auch befugt, bei den EU-Handwerksbetrieben GAV-Beiträge einzuziehen. Auf all diese Einnahmen möchten sie verständlicherweise nicht verzichten. Das schweisst Links und Rechts zusammen.
Aus rechtsstaatlicher Sicht ist die Einsetzung der inländischen Konkurrenten als Kontrolleure der EU-Mitbewerber eine fragwürdige Angelegenheit.
Laut unserer Bundesverfassung haben auch Handwerksbetriebe aus den Nachbarländern in Verfahren vor staatlich eingesetzten Kontrollinstanzen Anspruch auf unparteiische, gleiche und gerechte Behandlung.
Dieser rechtsstaatliche Anspruch dürfte mit einer Besetzung des Kontrollorgans mit den Konkurrenten der zu Kontrollierenden kaum zu erfüllen sein.
Das ist den Verbänden bekannt, weshalb sie eine Überprüfung durch den EuGH ablehnen.
Sie befürchten mit Grund, dass der EuGH für Handwerksbetriebe aus dem Binnenmarkt ein rechtsstaatlich korrektes Kontrollverfahren ohne Gewerkschaftssekretäre und Gewerbeverbandssekretäre verlangen könnte.
Gewerkschaftsbund und Gewerbeverband wissen, dass die Schweiz seit 2006 das vertraglich vereinbarte Diskriminierungsverbot nicht einhält.
Und sie wollen, dass dies so bleibt. Der Staat soll mögliche Binnenmarkt-Konkurrenten mit bürokratischen Barrieren auch in Zukunft vom schweizer Markt fernhalten.
Mit Sozialpartnerschaft hat das nichts zu tun.
Trotz Missachtung des Diskriminierungsverbots will die Schweiz die Vorteile des Binnenmarkts in Anspruch nehmen. Die SVP/FDP-Regierung reklamiert in Brüssel, wenn die EU neue Zugänge zum Binnenmarkt einfriert, solange das Institutionelle Abkommen nicht abgeschlossen ist.
Er erhält viel Zustimmung von den gleichen Kreisen, welche die Preis- und Lohninsel Schweiz vor Konkurrenz aus dem europäischen Binnenmarkt abschotten wollen.
Dass diese Position bei den übrigen Binnenmarktländern keine Begeisterung auslöst, verwundert nicht.
Es ist die Cherry-Picking-Strategie, die in der neuen Zusammensetzung der Landesregierung seit 2017/2018 wieder eine Blüte erlebt, aber von den andern 31 Ländern im europäischen Binnenmarkt abgelehnt wird.
Möglicherweise schliessen sich Gewerkschaftsbund und Gewerbeverband den einheimischen Rechtsnationalen an, die den Austritt der Schweiz aus dem europäischen Binnenmarkt verlangen.
Nach deren Weltanschauung soll sich die Schweiz gegen Europa abschotten. Überall - nicht nur in der Landwirtschaft – können dann durch staatliche Regulierung, Kartelle und Verbände Preise und Löhne festgesetzt werden.
Wahrscheinlich müsste man noch unilateral die Zölle erhöhen. Die EU ihrerseits würde bei einem Austritt aus dem Binnenmarkt möglicherweise nicht mehr am Freihandelsabkommen festhalten wollen.
Zahlen würde die Zeche der schweizer Konsument. Der steckt dann in der Protektionismus-Falle.
Die exportierenden schweizer Unternehmen und ihre Arbeitnehmer verlieren den freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt, das Hauptabsatzgebiet für Schweizer Waren und Dienstleistungen.
Nur wegen der Verbandskassen der Gewerkschaften und Gewerbeverbände und ihrer Abwehr der Konkurrenz sollte man es nicht soweit kommen lassen.
Die aktuelle SVP/FDP-Regierung scheint allerdings gewillt, den Partikularinteressen der Verbände erste Priorität in ihrer Europapolitik einzuräumen.
25.01.19