Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Abwegige Europapolitik
Schiedsgericht statt Bundesgericht


EuGH Vorabentscheid zum europäischen Recht

Nach Artikel 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) entscheidet der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die Auslegung des gemeinsamen europäischen Rechts.

Die letztinstanzlichen nationalen Gerichte sind verpflichtet, Fragen zur Auslegung des europäischen Rechts dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen.

Der Auslegungsentscheid des EuGH ist für das nationale Gericht verbindlich.

Einheitliche Anwendung
des europäischen Rechts

Mit diesem Verfahren solle die einheitliche Anwendung des europäischen Rechts im gesamten europäischen Binnenmarkt gewährleistet werden.

Könnten die nationalen Gerichte je für ihr Land abschliessend über die Auslegung des europäischen Rechts entscheiden, gäbe es den europäischen Binnenmarkt mit gemeinsamen Regeln nicht.

Gemeinsame Regeln existieren nur, wenn sie für den gesamten europäischen Binnenmarkt einheitlich ausgelegt und angewendet werden.

Das ist im Binnenmarkt nicht anders als in der Schweiz, wo das schweizer Recht einheitlich für alle kantonalen Gerichte verbindlich durch das Bundesgericht ausgelegt wird.

EuGH letzte Instanz im Bilateralismus

Wenn sich die Schweiz weiterhin am europäischen Binnenmarkt beteiligen will, muss sie wie jedes andere Binnenmarkt-Land anerkennen, dass der EuGH letztinstanzlich über die Auslegung des gemeinsamen europäischen Rechts entscheidet.

Praktisch heisst das: das Schweizerische Bundesgericht müsste – wie alle andern 31 letztinstanzlichen Gerichte der Binnenmarktländer – Streitfragen über die Auslegung des europäischen Rechts dem EuGH zum Vorabentscheid unterbreiten.

Kein Richter am EuGH

Dass die Schweiz keinen Richter am EuGH stellen kann und damit zur Auslegung des europäischen Rechts, das in der Schweiz gilt, nichts zu sagen hat, ist selbstgewähltes Schicksal.

Auf Druck der einheimischen Rechtsnationalen hat der Bundesrat vor rund 15 Jahren beschlossen, die Option EU-Beitritt definitiv fallen zulassen. Damals sind die Bundesräte Blocher SVP, Merz FDP und Calmy-Rey SP neu in die Regierung eingetreten.

Der Bundesrat schliesst seither jede Beteiligung der Schweiz an den europäischen Gremien aus, obwohl die Schweiz laufend und in grossem Umfang europäisches Recht übernimmt.

Das EU-Parlament, der EU-Rat und die EU-Kommission sind zuständig für den Erlass der europäischen Gesetze, die direkt über die Bilateralen Verträge und indirekt über den Nachvollzug in der Schweiz gelten. Die Schweiz ist in keinem dieser Gremien vertreten.

Der Bundesrat unter SVP/FDP-Führung meint, diese schweizer Position sei souverän und neutral. Beides trifft nicht zu. Die regierungsamtliche Position ist der rechtsnationalen Ideologie geschuldet.

Das europäische Recht muss die Schweiz, ungeachtet dieser Ideologie, einhalten, solange sie am europäischen Binnenmarkt teilnehmen will. Das ist der vom Bundesrat gewählte absonderliche Königsweg des Bilateralismus.

Der Gemischte Ausschuss

Bisher gelangen Auslegungsstreitigkeiten über die Auslegung des Binnenmarktrechts in der Schweiz in einen Gemischten Ausschuss, paritätisch besetzt mit Beamten der EU und der Schweiz.

Einigen sich die Beamten nicht, wie beispielsweise im Fall der sog. 8-Tage-Regel, bleibt der Streit ungelöst.

Die Schweiz hat 2006 die 8-Tage-Regel zwecks Fernhaltung der Handwerker aus den Nachbarländern vom schweizer Markt eingeführt. Die Handwerker müssen sich 8 Tage vor Arbeitsausführung in der Schweiz bei einer CH-Amtsstellen anmelden.

Die EU und die übrigen Binnenmarktländer sehen in der 8-Tage-Regel eine Verletzung des Diskriminierungsverbots des europäischen Rechts. Dieses Diskriminierungsverbot ist im Personenfreizügigkeitsabkommen der Bilateralen Verträge I verankert.

Der Streit ist seit über 10 Jahren ungelöst und vergiftet das Klima zwischen der Schweiz und der EU. Vor Bereinigung dieser Frage will die EU keine weiteren Abkommen mit der Schweiz über den Zutritt zum Binnenmarkt abschliessen.

Das Schiedsgericht

Nun soll die Einführung eines Schiedsgerichts helfen.

Das Schiedsgericht soll mit einem Richter aus der Schweiz, einem Richter aus der EU und einem Dritten, möglicherweise aus den USA, China, Indien, Südafrika oder gar Russland besetzt werden.

Sicher kein nationales, eher ein fremdes Gericht mit Sitz in Den Haag, mit einem aussereuropäischen Ausländer als Präsident, der den Stichentscheid hat.

Das Gericht muss sich an die Vorabentscheide des EuGH im Sinne von Artikel 267 Absatz 3 AEUV halten, hat also keine eigenständige Kognition zum europäischen Recht.

Weit naheliegender wäre es, das schweizer Bundesgericht im schweizer Prozessrecht zu beauftragen, Auslegungsfragen zum europäischen Recht dem EuGH vorzulegen.

Das Schiedsgericht ist aus Sicht der aktuellen schweizer Regierung „eine souveräne bilaterale Lösung“, das Bundesgericht nicht. Unverständlich.

Von Schweizer Politikern ausserhalb der Regierung wird verlangt, das Schiedsgericht müsse paritätisch besetzt werden, d.h. ein EU-Richter und ein schweizer Richter. Wenn sich die beiden nicht einig sind, gibt es keinen Entscheid, wie bisher im Gemischten Ausschuss. Das heisst, man ist wieder auf Feld eins.

Statt solchen absurden Nonsens zu produzieren, sollte die schweizer Politik endlich die Selbstverständlichkeit akzeptieren, dass die Schweiz, solange sie sich am europäischen Binnenmarkt beteiligt, das europäische Recht einhalten und dessen Auslegung durch den EuGH wie alle andern Binnenmarktländer akzeptieren muss.

18.01.2018

zur Publikation als PDF