Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Europapoltische Pirouetten
nach Rechtsaussen


Der Vertrag über die Personenfreizügigkeit ist innert drei Jahren neu zu verhandeln und anzupassen. Das verlangt die Masseneinwanderungsinitiative (MEI) der Rechtsnationalen.

Das Volk hat dem am 9. Februar 2014 knapp zugestimmt.

Der Bundesrat hat sich seither redlich bemüht, die Vorgabe zu erfüllen. Vor eineinhalb Jahren hat er von der EU Verhandlungen über eine Vertragsänderung gefordert.

Die zuständigen EU-Gremien haben Verhandlungen abgelehnt. Der EU-Rat hat kein Verhandlungsmandat erteilt. Bis heute haben keine Verhandlungen stattgefunden.

Auswege der SVP/FDP-Regierungskoalition

Der Bundesrat weiss seit langem um die Aussichtslosigkeit seines Begehrens. Er will indessen jeder internen Auseinandersetzung mit der SVP aus dem Weg gehen.

Nach den Wahlen 2015 und der freisinnigen Koalition mit den Rechtsnationalen in der Regierung mehr denn je.

Neu weckt er die Erwartung, die Kontingente für EU-Bürger und der Schweizervorrang am Arbeitsmarkt könnten unilateral durch Auslegung des geltenden Vertrags umgesetzt werden, nämlich über Artikel 14 Absatz 2 PFZA .

Der Artikel sieht Folgendes vor:

Bei schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen tritt der Gemischte Ausschuss auf Verlangen einer Vertragspartei zusammen, um geeignete Abhilfemassnahmen zu prüfen.

Der Gemischte Ausschuss kann über die zu ergreifenden Massnahmen beschliessen. Diese Massnahmen sind in Umfang und Dauer auf das zur Abhilfe erforderliche Mindestmass zu beschränken.

Es sind solche Massnahmen zu wählen, die das Funktionieren dieses Abkommens so wenig wie möglich beeinträchtigen.

Der Gemischte Ausschuss

Der Gemischte Ausschuss besteht aus Beamten der EU und der Schweiz. Er beschliesst „einvernehmlich“. D.h. ein Beschluss kommt nur zustande, wenn die Beamten beider Seiten zustimmen.

Die Ansicht, auf diesem Weg könnten Kontingente und Schweizervorbehalt unilateral eingeführt werden, nachdem eine Vertragsänderung mit gleichem Inhalt von der EU formell abgelehnt worden ist, ist einigermassen abenteuerlich.

Solange das PFZA besteht, sind unilaterale Massnahmen ohne Zustimmung der EU ausgeschlossen.

Und: materiell werden sich die EU-Beamten im Ausschuss wohl kaum über die Beschlüsse der EU-Gremien hinwegsetzen und eine Diskriminierung der EU-Bürger akzeptieren.

Der Bundesrat selbst hat beim Abschluss des Vertrags erklärt, es verstehe sich von selbst, dass der Gemischte Ausschuss den Parteien keine neuen Verpflichtungen auferlegen könne.

Die Verpflichtung der EU, die unilaterale Diskriminierung der EU-Bürger in der Schweiz zu tolerieren, wäre eine solche neue Verpflichtung.

Demokratiepolitisch mutet seltsam an, dass die Regierung den politischen Entscheid über die Weiterführung der Bilateralen Verträge in die Hände eines Beamtengremiums legen will.

Ein unguter Präzedenzfall. Da die Schweiz nicht an den EU-Gremien beteiligt sein will, sollen offenbar noch mehr als bisher Beamtenausschüsse das Verhältnis Schweiz-EU definieren. Man ist auf institutionellen Abwegen angelangt.

"Schwerwiegendes Problem"

Der Vormarsch der Rechtsnationalen in der Schweiz, ihre Ablehnung der EU und der EU-Bürger im Land und ihre Absicht, deswegen die Schweiz aus dem europäischen Binnenmarkt herauszubrechen, ist ein Problem.

Sicher aber kein „schwerwiegendes wirtschaftliches oder soziales Problem“ im Sinne des PFZA, sondern banaler hausgemachter politischer Nationalismus im altbekannten Stil.

Le Pen in Frankreich, Wilders in Holland, Ekeroth in Schweden, Salvini in Italien, Pegida/AfD in Deutschland etc.: Alle haben dieselben Parolen und Feindbilder. Der Sonderfall Schweiz präsentiert sich neu nur dadurch, dass Parolen und Feinbilder mehrheitsfähig sind.

Wenn die Schweiz den Rechtsnationalen folgen und aus dem EU-Binnenmarkt ausscheiden will, kann sie jederzeit die Bilateralen Verträge kündigen.

Seit den Wahlen haben die Rechtsnationalen und ihre freisinnigen Verbündeten die Chance, damit durchzukommen.

Unilaterale Kontingente für EU-Bürger

Mit der neuen SVP/FDP-Mehrheit hat der Bundesrat die Öffentlichkeit im Dezember 2015 wissen lassen, er werde voraussichtlich unilateral für EU-Bürger Kontingente und den Schweizervorrang am Arbeitsmarkt einführen.

Die Regierung kündigt damit vorsorglich für die MEI-Vorlage vom März 2016 den Vertragsbruch an. Offenbar will sie sich nach innen absichern und endlich die gewünschten Zähne zeigen.

Dabei weiss sie sehr wohl, dass sich die Schweiz im PFZA verpflichtet hat, keine neuen Beschränkungen für EU-Bürger einzuführen.

Die Erklärung wird in den Medien wohlwollend aufgenommen und mit Berichten orchestriert, wonach Vertragsbrüche in der Europäischen Union zum Alltag gehörten.

Man solle sich bitte nicht aufregen, wenn die Schweiz einen Vertrag breche, umso mehr als der EuGH nicht kompetent sei, die Schweiz zu büssen. Sie habe weniger zu befürchten als ein Mitgliedstaat. Die EU werde sich damit schon arrangieren.

Eine interessante Position. Bisher vertrat die Regierung die Ansicht, die Schweiz sei als Kleinstaat im internationalen Verhältnis in besonderem Mass auf die Einhaltung internationaler Verträge angewiesen.

25 Jahre rechtsnationale Anti-EU-Propaganda

Offenbar haben die rechtsnationalen Parolen die Köpfe schon so vernebelt, dass bewährte Prinzipien der Aussenpolitik kopflos über Bord geworfen werden.

Faktisch hofft man auf baldige Auflösungserscheinungen in der EU. Die Freizügigkeit für EU-Arbeitnehmer könne ohnehin nicht mehr durchgehalten werden, nachdem die Briten mit dem Austritt drohten und Europa mit einer Flüchtlingswelle konfrontiert sei.

Der Bundesrat schliesst sich neu dieser Sichtweise an, was für die Schweiz in der neuen Legislatur nichts Gutes erwarten lässt.

Allerdings überrascht nicht, dass die Regierung nach ungehinderter 25-jähriger Anti-Ausländer- und Anti-EU-Propaganda über keine Mehrheit mehr verfügt, die den Nutzen des europäischen Befriedungs- und Einigungsprojekts auch für die Schweiz anerkennen würde.

Da liegt das eigentliche Problem der schweizerischen Europapolitik.

19.12.2015

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