Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Bilateralismus bedeutet Übernahme des europäischen Rechts unter gleichzeitigem Verzicht auf eine Mitgestaltung des übernommenen Rechts.
Mit den bilateralen Verträgen hat die Schweiz die Regeln über die Personenfreizügigkeit in der EU übernommen. Nach diesen Regeln haben
EU-Angehörige kommen über die Personenfreizügigkeit in die Schweiz, weil sie von schweizer Unternehmer in der EU rekrutiert werden.
Würden schweizer Unternehmer nicht in der EU rekrutieren, gäbe es keine Zuwanderung.
Die schweizer Rechtsnationalen wollen den EU-Angehörigen den Zugang zum schweizer Arbeitsmarkt erschweren oder verunmöglichen.
Sie sagen, die von schweizer Firmen rekrutierten EU-Arbeitnehmer nähmen den Schweizern den Job weg.
Sie klagen aber nicht die schweizer Unternehmer an, welche EU-Arbeitskräfte aus Geschäftsinteressen in die Schweiz holen.
Sie protestieren gegen die EU. Die EU schickt aber keine Arbeitnehmer in die Schweiz.
Um die Zuwanderung zu stoppen, müsste die SVP verlangen, es sei den schweizer Unternehmen per Gesetz zu verbieten, in der EU zu rekrutieren.
Davon nimmt sie Abstand, weil viele Parteigänger selbst in der EU rekrutieren.
Da die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, hat sie keine Möglichkeiten von aussen eine Abänderung der EU-Regeln über die Personenfreizügigkeit zu bewirken.
Freigestellt bleibt ihr selbstverständlich eine Kündigung der Bilateralen Verträge.
Damit würden die Personenfreizügigkeit und die anderen Freizügigkeiten nach den Bilateralen im Warenverkehr, im Land- und Luftverkehr, im Kapitalverkehr etc. dahinfallen.
Die Rechtsnationalen behaupten, dass nationale Abschottung gegen Europa und Alleingang für die Schweiz nur von Vorteil wären.
FDP aNR Fischer und SVP aNR Blocher haben 1992, nach ihrem Sieg in der EWR-Abstimmung, vom Bundesrat verlangt, er solle mit der EU bilaterale Verträge abschliessen.
Der Bundesrat hat die Forderung 1999 erfüllt und den Bilateralismus installiert.
Heute lehnt die rechtsnationale SVP die Bilateralen Verträge ab.
Richtig sei der souveräne nationale Alleingang im Sinne des Nationalismus.
Sie erwartet demnächst die Auflösung der EU und den Kollaps des Euro.
Sie wünscht sich für den europäischen Kontinent die Nationalstaaten des 19./20. Jahrhunderts mit absoluter Souveränität zurück.
Der Nationalismus hat auf dem europäischen Kontinent zwei Weltkriege mit Millionen Toten ausgelöst.
Bald 70 Jahre nach dem 2.Weltkrieg gibt es wieder genügend Leute, die lernresistent sind und eine Auferstehung des Nationalismus in Europa fordern.
Hauptinteressenten am Bilateralismus aus der Wirtschaft waren in den neunziger Jahren Banken, Versicherungen und die Bauern. Sie übten starken Einfluss auf den Bundesrat aus.
Die Bauern erhalten im Europavergleich in der Schweiz weitaus die höchsten Subventionen. Die wollen sie nicht verlieren.
Auch die EU zahlt kräftig Subventionen an die Landwirtschaft. Aber eben doch tiefere als die Schweiz.
Die Finanzinstitute wollten das europäische Recht vom schweizer Finanzplatz fernhalten. Die Gewinne aus dem Bankgeheimnis seien sonst in Gefahr.
Da ein wesentlicher Teil der Steuererträge aus dieser Quelle stammte, war der Bundesrat mit im Boot. Es lag auf der Hand: mit einem EU-Beitritt müsste das Huhn geschlachtet werden, das die goldenen Eier legt.
Auch ohne EU-Beitritt wird nun – nur 10 Jahre später - das Huhn geschlachtet: das Ende das Bankgeheimnisses ist absehbar. Ursache des Endes ist allerdings nicht das europäische Recht, sondern das Fiskalinteresse der USA.
Die Fixierung auf die „Gefahr EU“ seit der EWR-Abstimmung hatte zur Folge, dass sich der Tsunami aus den USA im blinden Fleck von Finanzplatz und Regierung entwickeln konnte.
Landesregierung und Bankenplatz wähnten sich in einem sicheren Bunker: dem souveränen nationalen schweizer Finanzplatz-Recht.
Daran würden sich alle die Zähne ausbeissen, meinte der damalige Finanzminister FDP BR Hans-Rudolf Merz.
Eine fatale Fehleinschätzung der Lage – wie wir heute alle wissen.
Die aktuelle Finanzministerin, BdP BR Eveline Widmer-Schlumpf, ehemals SVP, hat eine 180-Grad-Wendung vollzogen.
Sie fällt - gedrängt von den G-20, den USA, der OECD und der EU - widerstandslos das Todesurteil über das grenzüberschreitende Bankgeheimnis. Eine heilige Kuh wird geschlachtet
Sie will - vermutlich in Absprache mit den von US-Staatsanwälten bedrohten Banken - eine schnelle Einführung des automatischen Informationsaustausches und des EU-Finanzmarkrechts.
Damit ist eine primäre Motivation für den Bilateralismus dahingefallen.
Bedenklich ist, dass die Lösung dem Land von aussen aufgezwungen wird.
Die Regierung hat ihre früher mit vehement vertretenen Positionen geräumt, ohne zu erklären, weshalb sich das Landesinteresse plötzlich geändert hat.
Wo bleibt der Nutzen des Bilateralismus für den Finanzplatz? Es ist ohnehin die US-Bankenaufsicht, die heute den abhängigen schweizer Finanzplatz kontrolliert.
Mit der Cherry-Picking Strategie will der Bundesrat aus dem europäischen Recht nur jene Bereiche herauspicken und übernehmen, welche für die schweizer Wirtschaft vorteilhaft sind.
Dazu gehörte aus Sicht der Regierung und der Wirtschaftsverbände stets die Personenfreizügigkeit.
Die schweizer Wirtschaft soll wie seit Jahrzehnten qualitativ gute und preislich günstige EU-Angehörige als Arbeitskräfte rekrutieren können.
Alles andere europäische Recht, auch das Finanzmarktrecht, sollte abgewehrt werden.
Die Cherry-Picking Strategie ist angeschlagen. Die bevorstehende Übernahme des europäischen Finanzmarktrechts ist nur ein Beispiel.
Es ist abzusehen, dass sich die Schweiz als Enklave der EU auch in andern Bereichen nicht der Schwerkraft des europäischen Rechts entziehen kann und es nolens volens übernehmen muss.
Die EU verlang von Ländern, die sich am europäischen Binnenmarkt beteiligen wollen, in der Regel die Anerkennung
Bespielhaft für diese Randbedingungen des Binnenmarkts sind die Konditionen, welche die EWR-Länder Norwegen, Island und Liechtenstein, laut EWR-Vertrag zu beachten haben.
Die Übernahme des europäischen Rechts ohne Mitwirkung an der Rechtsetzung im EU-Parlament, im EU-Rat und in der EU-Kommission ist für einen demokratischen Rechtsstaat entgegen der Ansicht des Bundesrats kein Königsweg, sondern eine Zumutung.
Die Medien behaupten, die schweizer Bevölkerung könne keinen Nutzen des europäischen Rechts für unser Land erkennen.
Sollte dies tatsächlich zutreffen, wäre ein Alleingang im Sinne der rechtsnationalen SVP angezeigt, aber nicht der Bilateralismus.
Im Alleingang könnte die Bevölkerung schnell erkennen, ob die von der SVP versprochenen Vorteile und Gewinne einer Abkoppelung vom europäischen Recht eintreten.
Erachtet hingegen - anders als die Medien behaupten - eine Mehrheit der Bevölkerung jetzt oder in Zukunft eine Beteiliogung am europäischen Recht für nützlich, gibt es keinen Grund, sich nicht an der europäischen Gesetzgebung zu beteiligen.
Im Gegenteil – die Nichtbeteiligung und die Fortführung des Bilateralismus würde die Schweiz über kurz oder lang zum fremdbestimmten Vasall der EU machen.
Der frustrierende Popanz Bilateralismus - d.h. Übernahme des europäischen Rechts ohne Beteiligung an der Gesetzgebung - ist keine taugliche Option für die Zukunft der Schweiz.
Leider sieht das die aktuelle Regierung ganz anders. Sie will den Bilateralismus für alle Zukunft festschreiben und meint das sei souverän und neutral. Aus der von aussen erzwungenen Aufgabe des Bankgeheimnisses hat sie nichts gelernt.
29.11.2013