Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Laut ihrem Präsidenten will Economiesuisse das bilaterale Verhältnis mit der EU weiterentwickeln.
Ein Austritt aus dem europäischen Binnenmarkt, wie ihn die rechtsnationale SVP anstrebt, steht für Economiesuisse nicht zur Debatte.
Soweit es um die Anwendung des europäischen Rechts geht, ist der Europäische Gerichtshof (EuGH) als letzte Instanz zuständig.
Das anerkennt Economiesuisse auch für die Anwendung des europäischen Rechts, das für die Schweiz gemäss den Bilateralen Verträgen verbindlich ist.
Mit Recht stellt sich die Wirtschaftsorganisation damit gegen die Auffassung des Bundesrates.
Die SVP/FDP-Regierung, mit den vier Bundesräten Maurer SVP, Parmelin SVP, Burkhalter FDP und Schneider-Ammann FDP, ist der Ansicht, der EuGH solle für das Gebiet der Schweiz nur unverbindliche Gutachten zum hier anwendbaren und per Vertrag von der Schweiz übernommenen europäischen Recht abgegeben, aber keine Urteile fällen dürfen.
Wenn die Schweiz sich weiterhin am europäischen Binnenmarkt beteiligen will, muss sie – wie alle andern 31 Binnenmarktländer – akzeptieren, dass in Streitfällen über die Anwendung des europäischen Rechts für alle Unternehmen und Bürger im Binnenmarkt der EuGH als letzte Instanz entscheidet.
Das gilt auch für das europäische Recht, das die Schweiz seit 1999 übernommen hat und über weitere Assoziations-Verträge in Zukunft noch übernehmen wird.
Wollte jedes Land – wie es die SVP/FDP-Regierung möchte – selbst in letzter Instanz entscheiden, ob und wie es das im Binnenmarkt geltende europäische Recht anwenden will, würde sich der europäische Binnenmarkt sofort auflösen.
Das mag der Wunsch der beiden SVP-Mitglieder in der Landesregierung sein, wird aber von Economiesuisse abgelehnt.
Auf die Wünsche der rechtsnationalen SVP betreffend Auflösung der EU werden sich auch die andern 31 Länder des Binnenmarkts nicht einlassen wollen.
Die SVP/FDP-Regierung sollte sich daher von dieser europarechtlich unsinnigen und aussichtslosen Strategie verabschieden.
Am Zug sind die FDP-Mitglieder des Bundesrats, FDP BR Schneider-Ammann und FDP BR Burkhalter.
Economiesuisse möchte für die bilateralen Verträge ein Schiedsgericht walten lassen.
Das kompliziert die Lage für Unternehmen und Bürger, die von dem im Binnenmarkt geltenden europäischen Recht betroffen sind.
Anders als im Fall der Position des Bundesrates – ist es nicht eine von vorneherein unmögliche Lösung.
Bedingung von europäischer Seite ist allerdings – wie in andern Assoziationsabkommen, dass das Schiedsgericht einen Vorabentscheid des EuGH einholen muss, sofern es um die Anwendung des von der Schweiz übernommenen europäischen Rechts geht.
Der Vorschlag von Economiesuisse ist in der Umsetzung teuer, zeitaufwendig und rechtsstaatlich bedenklich.
Ein völkerrechtlicher Staatenprozess vor Schiedsgericht ist für Schweizer und Schweizerinnen, deren Rechtsstellung nach europäischem Recht durch schweizer Behörden oder inländische oder ausländische Konkurrenten verletzt wird, ein unzumutbares Verfahren. Die Betroffenen sind formell vom Verfahren ausgeschlossen.
Die individualrechtliche Rechtsweggarantie der Bundesverfassung wird für das europäische Recht mit dem Staatenprozess ausgehebelt.
Economiesuisse setzt sich für eine fiktive Souveränität der schweizer Regierung und Verwaltung gegenüber dem europäischen Recht ein, statt der Gewaltentrennung und den individuelle Grundrechten der Schweizerinnen und Schweizern die Priorität einzuräumen.
Die Ansicht von Economiesuisse, die flankierenden Massnahmen der Schweiz zur Personenfreizügigkeit stünden ausserhalb des europäischen Binnenmarktrechts, trifft nicht zu.
Flankierenden Massnahmen des nationalen Rechts müssen sich in allen 32 Binnenmarkt-Ländern an das europäische Recht halten.
Das europäische Recht geht in der Schweiz - auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts - vor.
Artikel 6 des Entsendegesetzes, wonach Binnenmarkt-Unternehmen spätestens 8 Tage vor Beginn der Arbeiten meldepflichtig sind, wenn sie in der Schweiz Arbeiten ausführen wollen, verletzt seit 1.4.2006 das von der Schweiz akzeptierte Diskriminierungsverbot des europäischen Rechts.
Artikel 6 Entsendegesetz bezweckt, mittels bürokratischen Hürden Handwerker-Konkurrenz aus den benachbarten Binnenmarkt-Ländern fern zu halten. Es ist diese schweizer Vorschrift, die u.a. die andern 31 Binnenmarktländer veranlasst hat, von der Schweiz ein institutionelles Abkommen mit Anerkennung des EuGH zu fordern.
Die Gemischten Beamten-Ausschüsse Schweiz/EU waren in den letzten 10 Jahren nicht in der Lage, den Konflikt einvernehmlich zu lösen. Das stellt diesen Ausschüssen ein schlechtes Zeugnis aus. Sie sind mitverantwortlich für die Forderung der EU nach einem institutionellen Abkommen.
Die neue Strategie von Economiesuisse, ein Schiedsgericht einzurichten, diesem aber die Kognition für die flankierenden Massnahmen der Schweiz zu entziehen, führt ebenso in die Sackgasse, wie der Vorschlag des Bundesrates, die Kognition des EuGH von vorneherein auszuschliessen.
04.09.17