Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Swissness im Datenschutz

Neben der laufenden Übernahme des europäischen Rechts im Rahmen der Bilateralen Verträge gehört der autonome Nachvollzug des europäischen Rechts zur europapolitischen Strategie des Bundesrates.

Nach dem Abbruch der Verhandlungen mit der EU propagierte FDP BR Keller-Sutter einen Ausbau des autonomen Nachvollzug als Plan B. FDP BR Keller Sutter forderte am 26.05.21, zusammen mit den SVP BR Maurer und Parmelin, den Abbruch der Verhandlungen.

In der SVP/FDP-Regierung hat sie eine Untersuchung darüber veranlasst, welche schweizer Gesetze noch besser an das europäische Recht angepasst werden könnten.

Mit dieser Strategie soll die Souveränität der Schweiz besser gewahrt werden als mit einem Beitritt zur Europäischen Union oder anderen institutionellen Bindungen zu Europa.

Das ist die Ansicht der aktuellen SVP/FDP-Regierung.

Keine Mitbestimmung

Eine Mitbestimmung der Schweiz in den Europäischen Gremien, welche die europäischen Gesetze erlassen, lehnt die SVP/FDP-Regierung ab.

Über die Bilateralen Verträge und über den autonomen Nachvollzug sollen auch in Zukunft die europäischen Gesetze in der Schweiz angewendet werden, ohne jede demokratische Mitbestimmung der Schweiz beim Erlass dieser Gesetze.

Die aktuelle Regierung meint, eine Beteiligung der Schweiz am Europäischen Parlament, am Europäischen Rat, an der Europäischen Kommission und am Europäischen Gerichtshof würde die Souveränität und Demokratie der Schweiz beeinträchtigen.

Wenn die Bundesverwaltung hingegen laufend europäische Gesetze, die ohne jede demokratische schweizer Mitbestimmung erlassen wurden, übernimmt, beschädigt dies nach Ansicht der SVP/FDP-Regierung weder die Souveränität der Schweiz, noch den demokratischen Gesetzgebungsprozess.

Nachvollzug mit Swissness

In Bereichen, wo der Schweiz die Übernahme des europäischen Rechts nicht durch die Bilateralen Verträge vorgeschrieben ist, wendet die Regierung regelmässig den autonomen Nachvollzug an.

Die europäischen Regeln werden von der Bundesverwaltung, inhaltlich nach den europäischen Vorgaben, formal in ein Schweizer Gesetz geschrieben. Das Gesetz wird danach dem Parlament zur Genehmigung vorgelegt.

Durch zusätzliche schweizer Sondervorschriften wollen Bundesrat und Parlament regelmässig die Souveränität der schweizer Gesetzgebung zum Ausdruck bringen. Die Rede ist dann von souveräner Swissness.

Beispiel Datenschutzgesetz

Neuestes Beispiel des autonomen Nachvollzugs ist das schweizer Datenschutzgesetz. Es tritt am 1. September 2023 in Kraft.

Die Schweiz vollzieht damit autonom, ohne Verpflichtung nach den Bilateralen Verträgen, die europäische Datenschutz-Grundverordnung vom 27.04.2016 (EU 2016/679, DSGVO) nach. Die europäischen Regeln wurden ins schweizer Gesetz geschrieben.

Bundesrat und Parlament haben aber – wie üblich im Nachvollzug - Swissness in die Gesetzgebung eingebaut.

Swissness im Sinne der SVP/FDP-Regierung beinhaltet, neben dem vorgegebenen und zu übernehmenden europäischen Standard zusätzliche überflüssige Sondervorschriften, um den schweizer Sonderweg in Europa zu markieren.

Die SVP/FDP-Regierung muss im autonomen Nachvollzug, das schweizer Datenschutzgesetz der EU-Kommission zur Kontrolle vorlegen. Sie muss die EU-Kommission um eine Äquivalenz-Bescheinigung bitten.

Die EU-Kommission kann die Äquivalenz-Bescheinigung erteilen oder verweigern, auch aus politischen Gründen wie Falle des Börsengesetzes.

Die Schweiz hat in diesem Verfahren nach europäischem Recht keinen Rechtsanspruch auf Erteilung der Bescheinigung, auch wenn materiell eine Gleichwertigkeit des schweizer Gesetzes gegeben ist.

Die SVP/FDP-Regierung (SVP BR Parmelin, SVP BR Rösti, FDP BR Cassis, FDP BR Keller-Sutter) ist der Ansicht, der autonome Nachvollzug mit der Bitte um Äquivalenz bei der EU stärke die schweizer Souveränität und sei einer gleichberechtigten demokratischen Mitwirkung in der europäischen Gesetzgebung vorzuziehen.

Solange solche rechtsnationale Ansichten das Regierungshandeln definieren, bleibt die Schweiz im Verhältnis zur EU in einem Vasallenstatus.

Ineffizienz und Mehrkosten

Kunden aus dem europäischen Raum, die eine Website eines schweizer Unternehmens besuchen, haben nach europäischem Recht einen durchsetzbaren Rechtsanspruch darauf, dass die Website des schweizer Unternehmens in allen Teilen die europäischen Datenschutzregeln beachtet.

Sollte die EU-Kommission dem schweizer Gesetz die Äquivalenz verweigern, müssten schweizer Unternehmen zwei separate Websites führen, eine Website für schweizer Kunden nach dem Swissness-Datenschutzgesetz und eine zweite für europäische Kunden nach dem europäischen Datenschutzrecht.

Eine mühsame, sehr kostspielige und ineffiziente Lösung mit abschreckender Wirkung auf die Kunden.

Das wäre eine Möglichkeit, aber eine sehr kostspielige und ineffiziente Lösung mit abschreckender Wirkung auf die Kunden.

Eine andere Option wäre, Online-Kunden aus dem europäischen Raum auf der Website zu blockieren und sich auf Schweizer Kunden zu beschränken. Eine patriotische Lösung, aber mit einem Verzicht auf bedeutendes Marktpotential verbunden. Der europäische Binnenmarkt ist fünfzig Mal grösser als der Schweizer Markt.

Im Zeitalter des Online-Handels sind Landesgrenzen im europäischen Markt ökonomisch obsolet.

Schweizer Datenschutz-Fachleute empfehlen daher Unternehmen von vorneherein, ihre Websites nach dem europäischen Recht zu gestalten.

Das schweizer Gesetz bringt keinen Mehrwert, auch wenn ihm die EU-Kommission irgendwann die Äquivalenz bescheinigt.

Die Swissness-Praxis SVP/FDP-Regierung ist politisch motiviert, um in der Bevölkerung die Souveränitätsfiktion aufrecht zu erhalten. Sie hat keinen realen Nutzen für die betroffenen Personen und Unternehmen in der Schweiz.

Im Gegenteil – oft sind damit unnötige Zusatzbelastungen verbunden.

Souveränitätsfiktion

Der SVP/FDP-Regierung geht es in ihrer Europapolitik darum, die Fiktion einer souveränen schweizer Gesetzgebung aufrecht zu erhalten. In der Regel folgt ihr das Parlament auf diesem Weg.

Eine fingierte Souveränität ist danach für die Schweiz wichtiger als eine repräsentativ-demokratische Mitbestimmung in den gesetzgebenden Gremien der Europäischen Union zum europäischen Recht, das in der Schweiz angewendet wird.

Wegen der Zunahme des europäischen Rechts und der grossen Abhängigkeit der Schweiz vom europäischen Binnenmarkt führen die politischen Prioritäten der SVP/FDP-Regierung weiter in die Sackgasse.

Die in der Mehrheitskoalition der Parteien SVP/FDP in Bundesrat und Parlament und bei den Gewerkschaftsfunktionären verbreitete Ansicht, die Schweiz könne sich über das europäische Recht unilateral hinwegsetzen, hat mit der Realität nichts zu tun.

18.05.2023

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