Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Die schweizer Rechtsnationalen haben in der Bundesratswahl FDP-NR Ignazio Cassis und nicht der qualifizierten Tessiner FDP-Regierungsrätin Laura Sadis ihre Stimme gegeben, weil er ihnen versprochen hat, er werde in der schweizer Europapolitik den Reset-Knopf drücken.
Ein Rahmenabkommen und „fremde Richter“ lehne er ab, teilt er der SVP vor der Wahl mit.
Natürlich kann der nun erfolgreich gewählte FDP-BR Cassis nicht alleine den Reset-Knopf drücken. Mindestens weitere drei Kolleginnen oder Kollegen im Bundesrat müssen mitmachen.
Über das Votum der beiden rechtsnationalen Bundesräte, SVP-BR Maurer und SVP-BR Parmelin bestehen keine Zweifel.
Sie lehnen jede europäische Integration und insbesondere eine europäische Integration der Schweiz ab.
Dazu existieren in der Partei klare Vorgaben von SVP-Führer und Financier SVP-aBR Blocher, die niemand missachten darf. Zurück zum Nationalismus des 19./20. Jahrhunderts ist die Weltanschauung der Rechtsnationalen.
Wie wird sich FDP-BR Schneider-Ammann verhalten? Er ist auch kein Freund der Europäischen Union, wird aber im Sinne der Wirtschaftsverbände vorsichtig agieren.
In der Europapolitik ist er das Zünglein an der Waage, nachdem sich sein Parteikollege FDP-BR Cassis ins rechtsnationale Lager verabschiedet hat.
Immerhin geht es um einen U-Turn in der bisherigen Europa-Politik des Bundesrates.
Vor fünf Jahren hat der Bundesrat der EU offiziell mitgeteilt, die Schweiz anerkenne die Notwendigkeit einer homogenen Anwendung des europäischen Rechts im gesamten Binnenmarkt – auch in der Schweiz.
Eine einheitliche Anwendung des europäischen Rechts ist nur realisierbar, wenn europäische Institutionen bestehen, welche für alle Markteilnehmer im Binnenmarkt – Einzelpersonen, Unternehmen und staatliche Stellen - verbindlich
Dass es nicht Institutionen der einzelnen Binnenmarktländer sein können, liegt auf der Hand.
Würde jedes einzelne Land nach eigenem Gutdünken Binnenmarktregeln für in- und ausländische Marktteilnehmer erlassen, auslegen und überwachen, gäbe es keinen Binnenmarkt.
Das gilt im Übrigen nicht nur für den europäischen Binnenmarkt, das gilt genauso für die WTO.
Conditio sine qua non einer multilateralen Marktordnung sind gemeinsame Institutionen der beteiligten Länder, deren Entscheide von allen anerkannt werden.
Gesetzgeber im europäischen Binnenmarkt sind das EU-Parlament und der EU-Rat (Regierungen der beteiligten Länder).
Die Schweiz hat sich mit den Bilateralen Verträgen verpflichtet, das Binnenmarktrecht laufend zu übernehmen.
Gleichzeitig hat sie – auf Druck der einheimischen Rechtsnationalen - freiwillig darauf verzichtet, sich an der Binnenmarkt-Gesetzgebung im EU-Parlament und im EU-Rat zu beteiligen.
Für die einheitliche Auslegung des europäischen Rechts ist in letzter Instanz der Europäische Gerichtshof (EuGH) zuständig.
Auf eine Beteiligung am EuGH hat die Schweiz ebenfalls freiwillig verzichtet.
Daraus leiten schweizer Rechtsnationale und offenbar auch FDP BR Cassis ab, die Schweiz können das von der Schweiz mit den Bilateralen Verträgen ab 1999 übernommene europäische Recht nach eigenem Gusto auslegen und anwenden oder nicht anwenden und gleichzeitig im In- und Ausland die Vorteile des europäischen Binnenmarkts in Anspruch nehmen.
But - you can't have your cake and eat it.
Würde jedes Binnenmarktland so denken und handeln, gäbe es den Binnenmarkt nicht.
Es liegt auf der Hand, dass die andern Länder die Ansichten der schweizer Rechtsnationalen, welchen jetzt auch FDP-BR Cassis folgt, nicht akzeptieren.
Der europäische Binnenmarkt funktioniert nur, wenn die geltenden Regeln im gesamten Binnenmarkt für alle Marktteilnehmer – Einzelpersonen, Unternehmen und staatliche Stellen – einheitlich angewendet werden und dies von einer obersten, für den gesamten Binnenmarkt zuständigen Gerichtsbarkeit gewährleistet wird.
Für ein Land, das sich am Binnenmarkt beteiligt, sind die EuGH-Richter keine „fremden Richter“, sondern gemeinsame eigene Richter, soweit es um die Auslegung des europäischen Binnenmarktrechts geht.
Die rechtsnationale Ablehnung einer obersten europäischen Gerichtsinstanz für das europäische Recht im Binnenmarkt ist emotional und folgt keiner Logik.
Die Rechtsnationalen akzeptieren, dass die Schweiz laufend auf dem Verwaltungsweg bilateral europäischen Gesetze übernimmt, obschon die Schweiz an der europäischen Gesetzgebung in keiner Weise beteiligt ist.
Die Gesetzgebung ist wohl der wichtigste Akt für die Marktteilnehmer und jedenfalls bedeutender als die Sicherung der einheitlichen Rechtsanwendung durch den EuGH.
Fremde Gesetzgeber aus Europa werden akzeptiert, fremde Richter aber nicht.
Eine Position, die man nur als Nonsens bezeichnen kann.
Vielleicht hängt die rechtsnationale Position damit zusammen, das die Sieger der EWR-Abstimmung 1992, FDP NR Fischer und SVP NR Blocher, vom Bundesrat bilaterale Verträge zwecks Übernahme des europäischen Rechts verlangt haben.
Ab 1999 hat der Bundesrat diese Forderung umgesetzt und den schweizer Bilateralismus installiert.
In der Gesetzgebung ist die Schweiz seither dem EU-Parlament und dem EU-Rat unterstellt.
Die Brexit-Briten lehnen das ab und bezeichnen den schweizer Bilateralismus als Vasallentum.
Die WTO unterscheidet sich vom europäischen Binnenmarkt nur darin, dass die gemeinsamen Marktregeln der WTO-Länder auf einem wesentlich tieferen Level angesiedelt sind, als die Regeln des europäischen Binnenmarkts.
Die gemeinsame WTO-Gerichtsbarkeit wird von der Schweiz, von den einheimischen Rechtsnationalen und vermutlich auch von FDP BR Cassis anerkannt, obwohl es sich nach rechtsnationaler Ideologie um sog. „fremde Richter“ handelt.
Was bedeutet das von Bundesrat Cassis der rechtsnationalen SVP vor der Wahl versprochene Drücken des Reset-Knopfes?
Eigentlich kann damit nur der Austritt der Schweiz aus dem europäischen Binnenmarkt gemeint sein. Das ist das Ziel der Rechtsnationalen.
Ob sich die Landesregierung dieses Ziel zu eigen macht, hängt nach der Wahl von BR Cassis vom Volkswirtschaftsminister GFDP BR Schneider-Ammann ab.
Auf sein Votum darf man gespannt sein. Die wichtigsten Wirtschaftsorganisationen des Landes, Economie-Suisse und der Gewerkschaftsbund, lehnen bislang den Austritt der Schweiz aus dem europäischen Binnenmarkt ab.
Wenn das Wahlversprechen von FDP BR Cassis an die Adresse der Rechtsnationalen ernst gemeint war, muss die Landesregierung bald über seinen Reset-Antrag abstimmen.
Vielleicht kommt Aussenminister FDP BR Cassis zu neuen Erkenntnissen und macht – statt dem Bundesrat - einen U-Turn. Nach der Wahl ist alles ist möglich.
Am wahrscheinlichsten ist: FDP BR Cassis sucht im Bundeshaus den Reset-Knopf, findet ihn aber nicht. Sein Vorgänger, FDP-BR Burkhalter hat ihn mit nach Hause genommen, als Dekor für seinen neu angelegten bilateralen Königsweg im Garten.
28.10.17