Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Brexit und Schweiz



EU-Verhandlungsmandat zum Brexit

Die 27 EU-Mitgliedländer haben in ihrem Verhandlungs-Mandat vom 29. April 2017 zum Brexit gemeinsam folgende Grundsätze formuliert:

  1. Jedes Abkommen EU/UK muss auf einem ausgewogenen Ausgleich von Rechten und Pflichten beruhen.

  2. Der Schutz der Integrität des Binnenmarktes schliesst eine sektorielle Beteiligung am Binnenmarkt aus.

  3. Ein Nicht-Mitglied der EU, das nicht dieselben Pflichten übernimmt wie ein Mitglied, kann nicht dieselben Rechte und Leistungen in Anspruch nehmen wollen wie ein Mitglied.

  4. Die vier Freiheiten des europäischen Binnenmarktes sind unteilbar. Rosinenpicken ist ausgeschlossen.

  5. Erlass und Auslegung der Binnenmarktregeln ist allein Sache der EU-Institutionen (EU-Parlament, EU-Rat, EuGH, EU-Kommission).

In den ergänzenden Verhandlungs-Direktiven vom 29. Januar 2018 hat der Europäische Rat diese Prinzipien bestätigt und unterstrichen.

Keine sektoriellen Binnenmarktbeteiligung

Aus Schweizer Sicht ist der Ausschluss einer sektoriellen Beteiligung am europäischen Binnenmarkt besonders bemerkenswert.

In den bisherigen bilateralen Verträgen zwischen der Schweiz und der EU eine sektorielle Beteiligung der Schweiz am europäischen Binnenmarkt vereinbart ist.

Das Modell „sektorielle Beteiligung“ hat aus Sicht der EU keine Zukunft.

Es liegt – laut den Grundsätzen - nicht im Interesse der EU, weil es die Integrität des Binnenmarktes missachtet.

Nicht einmal für die Übergangszeit von zwei Jahren will die EU dem Vereinigten Königreich eine sektorielle Be-teiligung zugestehen.

Kohäsionsbeitrag

Die Rechte, welche mit der Beteiligung am Binnenmarkt verbunden sind, können nur soweit in Anspruch genommen werden, als auch entsprechende Pflichten übernommen werden. Dies bedeutet insbesondere, dass Kohäsionsbeiträge auch für ein Nicht-EU-Mitglied nicht freiwillig sind, sondern zu den zu übernehmenden Pflichten gehören, sofern eine Beteiligung am Binnenmarkt gewünscht wird. Die Schweiz kann den Kohäsionsbeitrag selbstverständlich ablehnen, allerdings mit der Konsequenz eines Ausscheidens aus dem Binnenmarkt.

Erneut wird unterstrichen, dass einzelne Binnenmarkt-Freiheiten nicht abgewählt werden können.

Wenn also die Schweiz die Personenfreizügigkeit mit einer Gutheissung der Initiative der Rechtsnationalen kündigt, fällt auch der freie Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr dahin.

Eine Beteiligung am Binnenmarkt ist nur mit allen vier Freiheiten möglich.

Rechtsübernahme ohne Mitentscheidung

Länder, die sich am Binnenmarkt beteiligen wollen, aber nicht EU-Mitglied sind, können weder an der Gesetzgebung noch an der Rechtsprechung zum europäische Recht mitwirken und mitentscheiden.

Sie müssen die Beschlüsse des EU-Parlaments und des EU-Rates sowie die Urteile des EuGH anerkennen. Das sagt Punkt 5 der Grundsätze.

Lehnt die Schweiz – wie bisher – die letztinstanzliche Zuständigkeigkeit des EuGH zum europäischen Recht, das sie zu übernehmen hat, ab, bewegt sie sich in Richtung Austritt aus dem europäischen Binnenmarkt.

In seinen innenpolitischen Verlautbarungen erweckt der Bundesrat den Eindruck, für die Schweiz gelte das alles nicht.

  • Die Schweiz könne - als Sonderfall - Rosinen picken, könne sich im Bilateralismus nach Gusto sektoriell am europäischen Binnenmarkt beteiligen und könne selbst entscheiden, ob sie das europäische Recht einhalten wolle oder nicht.

  • Eine Anerkennung des EuGH als letzte Instanz für das von der Schweiz im Bilateralismus zu übernehmende und anzuwendende europäische Recht sei ausgeschlossen.

  • Kohäsions-Zahlungen seien im Bilateralismus ein freiwilliger souveräner Akt der Schweiz, der von der schweizer Politik jederzeit widerrufen oder ausgesetzt werden könne.

Die verfehlten europapolitischen Informationen der Regierung sind ein Hauptgrund für das Erstarken der einheimischen Rechtsnationalen

Sie ermöglichen den Rechtsnationalen erst, die EU als Feind der Schweiz zu plakatieren.

Handlungsspielraum schwindet

Der Brexit hat in den EU-Ländern die Vorstellungen über die Konditionen einer Beteiligung am europäischen Binnenmarkt deutlich geschärft.

Die EU-Länder möchten den in den neunziger Jahren noch einvernehmlich gestarteten Sonderzug der Schweiz aufs Abstellgleis manövrieren, weil mit dem Bilateralismus zu grosse Risiken für das Fundament des multilateralen Binnenmarktes verbunden sind.

Der europäische Binnenmarkt mit seinen grossen ökonomischen Vorteilen kann nur funktionieren, wenn alle die gemeinsamen Regeln anerkennen und auch umsetzen, was einen bilateralen schweizer Sonderzug ausschliesst.

Diese Position der EU zu erkennen und sich rational und pragmatisch mit ihr auseinanderzusetzen, wäre nützliche Politik für die Schweiz.

Innenpolitisch getrieben von der rechtsnationalen SVP verzichtet der Bundesrat darauf. Spätestens seit der Liquidation des Integrationsbüros EDA/WBF 2012 findet keine realitätsbezogene regierungsamtliche Information über die EU mehr statt.

Der Bundesrat nimmt in seiner Wortwahl zunehmend antieuropäische Worthülsen der Anti-Europa-Partei SVP auf.

Der Verhandlungsspielraum der Schweiz war vor dem Brexit deutlich grösser, auch wenn nicht mehr so gross wie in den neunziger Jahren.

Diese Chancen hat die Regierung durch die seit mehr als 10 Jahren andauernde innenpolitische Blockade vertan. Ihr Hofieren mit den Rechtsnationalen hat sich nicht ausbezahlt, sondern die Position der Schweiz verschlechtert.

Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird der Spielraum der Schweiz durch die Brexit-Verhandlungen deutlich enger. Was die EU dem Vereinigten Königreich nicht zubilligen will, wird sie auch der Schweiz nicht zubilligen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, sagte Gorbatschow vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

12.02.2018

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