Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Die Zukunft von Premierministerin May und des von ihr mit der EU ausgehandelten Brexit-Abkommens ist ungewiss.
Die entscheidenden Abstimmungen im britischen Unterhaus stehen aus.
In der Tory-Unterhausfraktion gibt es zahlreiche, unter sich zerstrittene Gruppen, die das von May ausgehandelte Abkommen ablehnen und andere Vorschläge machen.
Einiges Gewicht hat Amber Rudd, Ministerin für Arbeit und Vorsorge und mögliche Nachfolgerin von Theresa May.
Sie befürwortet das „Norwegen-Plus-Modell“. Damit sind eine EWR-Lösung und – zusätzlich als "Plus" – ein Zollabkommen mit der EU (à la Türkei) gemeint.
Wichtigstes Ziel von Theresa May ist das Ende der EU-Personenfreizügigkeit für das Vereinigte Königreich (UK). Dafür ist sie bereit, den freien Zugang von UK zum europäischen Binnenmarkt zu opfern.
Ohne diesen Schritt, so glaubt sie, würde die Tory-Partei die Macht im Land verlieren. Das möchte sie auf jeden Fall verhindern.
Ohne die EU-Migration will sie während einer zeitlich nicht limitierten Übergangszeit unter Verzicht auf das bisherige EU-Stimmrecht das europäische Recht wegen des nordirischen Good-Friday-Abkommens vorläufig noch akzeptieren und auch EU-Beiträge zahlen.
Das nehmen ihr viele Tories im Unterhaus übel. Ob sie eine Vertrauensabstimmung übersteht, ist offen.
Amber Rudd sieht die Dinge anders. Sie ist mit den vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarkts im Sinne des EWR einverstanden, d.h. auch mit der Personenfreizügigkeit.
Im EWR hat sie dafür Freiheit in der Agrar- und Fischereipolitik. Die EWR-Freiheit im Bereich der Handelsverträge mit Drittländern ginge im Falle einer Zollunion mit der EU – im Sinne des Plus - allerdings auch verloren.
Laut Artikel 128 des EWR-Vertrags kann jeder europäische Staat, der Mitglied der EFTA wird, beantragen, Vertragspartei des EWR-Abkommens zu werden. Der betreffende Staat hat seinen Antrag an den EWR-Rat zu richten.
Der EWR‐Rat setzt sich aus den Aussenministern der EWR/EFTA‐Staaten (Norwegen, Island, Liechtenstein) sowie Vertretern der EU zusammen. In diesem Gremium ist die Schweiz nicht vertreten.
Der EWR-Vertrag setzt indessen voraus, dass der antragstellende Staat Mitglied der EFTA ist.
Sofern dieser Passus von den EWR-Vertragsparteien (EU, Norwegen, Island, Liechtenstein) nicht geändert wird, muss UK der EFTA beitreten, um einen Antrag auf EWR-Mitgliedschaft stellen zu können.
Damit käme die Schweiz ins Spiel. Die Schweiz ist zwar nicht Mitglied des EWR, sie ist aber Mitglied der EFTA.
Würde die Schweiz ihr Veto gegen einen Beitritt von UK zur EFTA einlegen, wäre ein Beitritt von UK zum EWR unter den geltenden Regeln nicht möglich.
Viele in der Schweiz würden einen Beitritt von UK zur EFTA begrüssen.
Damit wären auch Nachteile verbunden.
Die EFTA ist ausschliesslich dazu da, gemeinsam EFTA-Freihandelsverträge mit Drittstaaten abzuschliessen. Auf diesem Parkett konnte die EFTA in den vergangenen 15 Jahren Erfolge erzielen.
Die EFTA ist keine Verhandlungsplattform für Abkommen mit der EU, weil die Schweiz 1992 den EWR abgelehnt hat, aber in der EFTA verblieben ist.
Die Konsequenzen für die EFTA, und damit für die Schweiz, wären bei einem Beitritt von UK erheblich.
Die vier Kleinstaaten Norwegen, Schweiz, Island und Liechtenstein würden in Zukunft bei der Aushandlung von EFTA-Freihandelsverträgen wegen der Grössenverhältnisse von UK dominiert.
Heute haben die Schweiz und Norwegen die Führungsrolle. Die jetzt schon schwierige EFTA-interne Ausbalancierung der Handelsinteresse würde markant schwieriger.
Neu stünden die Handelsinteressen von UK im Vordergrund. Die Drittstaaten hätten bei den Verhandlungen vor allem ihre Handelsinteressen zum vielfach grösseren UK-Markt im Auge.
Die bestehenden EFTA Freihandelsverträge könnten aufgrund des Beitritts von UK von den beteiligten Drittstaaten in Frage gestellt werden.
Sie wären wahrscheinlich nicht ohne weiteres bereit, die Handelskonzessionen, die sie einer EFTA ohne UK gemacht haben, auch einer EFTA mit UK zu gewähren.
Die Schweiz, die bisher eine führende Rolle in der EFTA-Organisation mit Sitz in Genf wahrnehmen konnte, müsste diese voraussichtlich an UK abtreten.
Die EWR-Interessen im Rahmen der EFTA bekämen materiell und organisatorisch ein deutlich grösseres Gewicht als bisher. Die Schweiz als einziges Nicht-EWR-Mitglied der EFTA würde wohl an den Rand gedrängt.
Die Schweiz tut gut daran – sollte UK wider Erwarten ein EFTA-Beitrittsgesuch in Erwägung ziehen – sich die Angelegenheit gut zu überlegen.
Ob sie allerdings einen grossen politischen Handlungsspielraum für ein Veto hätte, wenn die andern EFTA-Staaten, die alle Mitglieder des EWR sind, zustimmen, steht auf einem andern Blatt.
Denkbar ist, dass die EU in einem separaten Abkommen mit UK alle Regeln des EWR übernimmt und ausserdem die Regeln einer Zollunion implementiert, den existierenden EWR aber aussen vor lässt.
Dann hat die Schweiz zum ganzen Vorgang nichts zu sagen, ist aber auch in der EFTA nicht betroffen, was vorzuziehen wäre.
02.12.2018