Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Der Bundesrat hat am 25. Februar 2019 ein Abkommen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland (UK) unterzeichnet.
Agreement between the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and the Swiss Confederation on Citizens’ Rights following the withdrawal of the United Kingdom from the European Union and the Free Movement of Persons Agreement.
Das Abkommen regelt die Aufenthaltsrechte von UK-Angehörigen, die sich im Zeitpunkt des Brexit auf der Grundlage des Personenfreizügigkeitsabkommens CH/EU (FZA) in der Schweiz aufhalten.
Ab dem Zeitpunkt des Brexit fällt das FZA im Verhältnis Schweiz/UK dahin. UK-Angehörige in der Schweiz werden behandelt wie andere Drittstaatsangehörige.
Sie unterliegen der strengen schweizerischen Ausländergesetzgebung, insbesondere der Kontingentsregelung.
Aufenthaltsbewilligungen werden nach behördlichem Ermessen und nur erteilt, wenn die Schweiz ein wirtschaftliches Interesse hat. Ein Rechtsanspruch existiert nicht.
Gesuchsteller aus UK müssen einen Antrag ihres schweizerischen Arbeitsgebers, ihre Integrationsfähigkeit und ein hinreichendes Einkommen nachweisen.
Nach Artikel 121a BV [SVP-Masseneinwanderungsartikel] dürfen keine völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen werden, die gegen diese Vorschriften verstossen.
Das Abkommen vom 25. Februar 2019 sieht nun aber vor, dass sich jene UK-Angehörige, die sich vor dem Brexit unter dem FZA in der Schweiz aufgehalten haben, auch nach dem Brexit und dem Wegfall des FZA nicht an die Vorgaben des SVP-Masseneinwanderungsartikel halten müssen.
Vielmehr sollen sie so behandelte werden, wie wenn für sie weiterhin das Personenfreizügigkeitsabkommen gelten würde.
Durch das neue Abkommen CH/UK werden diesen Personen die FZA-Freizügigkeitsrechte eingeräumt, wie wenn sie diese nicht aufgrund des Brexit verloren hätten.
Das aber verstösst gegen den SVP-Masseneinwanderungsartikel, der solche Abkommen ausdrücklich verbietet (Artikel 121 Absatz 4 BV).
Das am 25.02.19 unterzeichnete Abkommen CH/UK folgt bezüglich der Citizen’s Rights im Wesentlichen dem Abkommensentwurf zwischen UK/EU vom 25. November 2018.
Draft Withdrawal Agreement and Political Declaration on the future relationship between the UK and the EU.
Aus dem UK/EU-Abkommen kann der Bundesrat indessen keine Rechtfertigung für eine Abweichung von Artikel 121a BV ableiten:
Die Schweiz ist nicht Mitglied der EU. Das Withdrawal Agreement gilt nicht für das Verhältnis Schweiz/UK.
Die Schweiz hat keinerlei völkerrechtliche Verpflichtungen, den UK-Angehörigen trotz Brexit den FZA-Status zu gewähren.
Weder die EU, noch die EU-Mitgliedsländern kennen eine analoge Verfassungsvorschrift wie Artikel 121a Absatz 4 BV, welcher der Regierung den Abschluss völkerrechtlicher Verträge mit Personenfreizügigkeit verbietet.
Der Bundesrat macht geltend, es handle bei den UK-Personen, die durch den Brexit ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz verlieren, nicht um Personen, die neu in die Schweiz zuwandern.
„Neu Zuwandern“ ist indessen kein Kriterium für die Anwendung von Artikel 121a BV. Ausschlaggebend ist, dass UK-Angehörige mit dem Brexit als Drittstaatsangehörige keinen Rechtsanspruch auf Aufenthalt in der Schweiz haben, unabhängig davon, ob sie in der Schweiz leben oder nicht.
Artikel 121a BV gilt für alle Personen, die sich nicht legal in der Schweiz aufhalten, was bei den UK-Angehörigen ab dem Zeitpunkt des Brexit der Fall ist. Jede Rechtsgrundlage für ihren weiteren legalen Aufenthalt müsste sich an die Kontingentsregelung des Artikel 121a BV halten.
Die Ansicht, nach Wegfall eines Freizügigkeitsanspruchs könne ein solcher ohne Beachtung von Artikel 121a BV mit einem neuen Abkommen wieder eingeräumt werden, bewegt sich verfassungsrechtlich auf sehr dünnem Eis.
Dort befindet sich der Bundesrat mit dem neuen Abkommen CH/UK: er will die Kontingentsregel für UK-Angehörige, die sich neu als Drittstaatsangehörige in der Schweiz aufhalten, nicht durchsetzen.
Weshalb?
Würde er sich an den SVP-Artikel 121a BV halten, hätte dies gravierende Konsequenzen für die vielen Schweizerinnen und Schweizer, die in UK leben und arbeiten. Auch sie würden durch den Brexit in die Illegalität fallen.
Es sei denn, UK gäbe ihnen unilateral, ohne Gegenrecht, Aufenthaltsrechte, was unwahrscheinlich ist. Schliesslich wurde der Brexit angenommen, um Europäer vom Kontinent von Grossbritannien fern zu halten.
Daher setzt sich der Bundesrat ohne grosse Diskussion über Artikel 121a BV hinweg. Im Parlament wird ihm eine deutliche Mehrheit folgen.
Das Abkommen mit UK ist ein erneuter Beleg für den Schaden, den der in der Volksabstimmung vom 9. Februar 2014 angenommene SVP - Masseneinwanderungsartikel der Schweiz zufügen würde, würden sich Bundesrat und Parlament danach richten.
Das Abkommen CH/UK vom 25.02.19 unterliegt dem fakultativen Referendum (Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV). Gelegenheit für die Rechtsnationalen, die Frage der Einhaltungen ihres Masseneinwanderungsartikels vor das Volk zu bringen.
Die SVP wird sich indessen – wie beim Kroatienabkommen und beim MEI-Umsetzungsgesetz - still verhalten und den Verstoss gegen Artikel 121a Absatz 4 BV wiederum akzeptieren.
Die heutige rechtsnationale SVP-Mannschaft will nicht für den Schaden verantwortlich sein, den eine Anwendung ihrer Masseneinwanderungsinitiative anrichten würde.
Den Rechtsdnationalen geht es mit ihren ausländer- und EU-feindlichen Initiativen seit jeher nicht um konkrete Massnahmen, sondern darum mit diesen negativ aufgeladenen Themen ihre Macht im Staat auszubauen.
Wird das Abkommen CH/UK mit Referendum nicht anderweitig erfolgreich angegriffen, gilt dies nach unsere Verfassungsordnung als Zustimmung des Volkes zur Abweichung von Artikel 121a BV.
Die Abweichung von der Verfassung ist damit – wie in andern Fällen - demokratisch legitimiert. Der Schaden, den Artikel 121a BV stiftet, ist ausserdem einmal mehr demokratisch anerkannt.
14.04.2019