Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Die Brexiteers der britischen Tory-Partei behaupten, das Vereinigte Königreich (UK) werde mit dem Brexit stärker. Denn: UK kann selbst bestimmen, mit wem es Handel treiben will und es kann selbst die Konditionen festlegen.
Die bedeutendsten Handelsmächte sind heute die Europäische Union (30% Anteil an den weltweiten Exporten, exkl. UK), dann kommen China (14%) und die USA (9%). Japan ist mit nur noch 4% stark zurückgefallen.
Obwohl die britische Wirtschaft eine beachtliche Grösse hat, beträgt ihr Anteil am Welthandel nur 3%, 1948 waren es noch 11%.
Die Brexiteers haben die Handelsmacht, die Kriegs- und Handelsflotte und die Kolonien des Britischen Empires im Kopf. Tempi passati.
Tatsächlich wird heute der Welthandel von der Europäische Union dominiert, auch was die Standards des grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehrs betrifft.
Taking back control from Brussels wird daher nicht funktionieren, jedenfalls nicht in der Handelspolitik.
Wegen der englischen Sprache und des globalen Finanzzentrums London war UK für viele internationale Unternehmen ein sehr beliebtes Eingangstor zum europäischen Binnenmarkt, vor allem für Firmen aus Asien (China, Japan, Indien etc.).
Mit dem Austritt steht UK für diese Funktion nicht mehr zur Verfügung. Ökonomisch wohl eher ein gravierender Nachteil, denn ein Vorteil.
Zumal die Briten sämtliche Freihandelsabkommen mit Drittstaaten und auch mit der EU noch aushandeln müssen, was Jahre dauern kann.
UK hatte in der Handels- und Sicherheitspolitik der EU grossen Einfluss. Für die USA war UK ein wichtiger Partner, um von aussen auf die EU Handels- und Sicherheitspolitik Einfluss zu nehmen.
UK war anderseits aufgrund der Rückendeckung durch die EU in der Lage, übermässigen Druck der USA abzuwehren.
Mit dem Austritt fällt das alles dahin. UK wird die Handels- und Sicherheitspolitik der EU nicht mehr von innen – als Mitglied – beeinflussen können.
Deshalb verliert es an Bedeutung als Partner der USA. Bei Druckversuchen der USA entfällt der Schild der EU.
UK wird sicherheits- und handelspolitisch zum Anhängsel der USA – oder der EU bei einem BRINO (Brexit in the name only). Davor schützt auch der eigene Flugzeugträger nicht.
Ministerpräsidentin Thatcher war sich darüber im Klaren. Sie hatte sich im EU-Beitritts-Referendum von 1975 – trotzt ausgeprägtem eigenem britischen Machtbewusstsein – deutlich für die EU-Mitgliedschaft von UK ausgesprochen.
Wer also profitiert vom Brexit, wenn nicht die Briten selbst?
Die EU steht im Widerspruch zur America-First-Politik des rechtsnationalen US-Präsidenten Donald Trump. Nationalismus steht bei ihm zuoberst auf der Tagesordnung.
Er ist an einer Schwächung der EU interessiert. Am liebsten wäre ihm - wie den schweizer Rechtsnationalen - der Zerfall der EU in Nationalstaaten, die sich gegenseitig wirtschaftlich und politisch bekämpfen.
Daher unterstützt er auch die europäischen rechtsnationalen Parteien.
Nigel Farage, der Führer der rechtsnationalen UKIP-Partei, ist sein bevorzugter Gesprächspartner aus UK.
Sein früherer Berater, Steve Bannon, aus der rechtsextremen US-Szene, ist in Europa unterwegs, um die rechtsnationalen Parteien im Kampf gegen die Europäische Union zu vereinen.
Er will den Rechtsnationalen in den Wahlen zum Europaparlament am 26. Mai 2019 zum Sieg verhelfen, um den Zerfall der Union auszulösen. Sicher kommt viel Geld von Amerikas Oligarchen.
Unter sich zerstrittene europäische Nationalstaaten stünden bei einem Zerfall der EU sicherheits- und handelspolitisch in völliger Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten und dessen Präsidenten.
Kein europäischer Nationalstaat könnte, auf sich allein gestellt, dem Druck einer aggressiven US-Politik widerstehen.
Im Machtkampf mit China um die globale Hegemonie fordern die USA Gefolgschaft.
Ein eigenständiges, geeintes Europa ist aus Sicht von Trump ein stark störendes Hindernis, das beseitigt werden muss.
Zweiter Profiteur des Brexit ist der russische Diktator Vladimir Putin. Boris Johnson, Kampagnenführer aus der Tory-Partei gegen Europa und für den Brexit und ehemaliger Londoner Bürgermeister, hat ihm das grösste Geschenk gemacht und der europäischen Sicherheit grösstmöglichen Schaden zugefügt.
Der DiktatorPutin ist aus machtpolitischen und ökonomischen Gründen an einer Schwächung und am Zerfall der EU interessiert.
Er wartet schon lange darauf einen Keil zwischen die Europäer zu treiben, um seine Macht auszubauen.
Der Gas- und Oelexport aus Russland nach Europa ist für Putin überlebenswichtig. Damit finanziert er sein autoritäres Regime und insbesondere die militärische Aufrüstung. Das wird auch bei seinen Nachfolgern aus der russischen Oligarchen-Szene nicht anders sein.
Putin fördert die rechtsnationalen Parteien in Europa. Im Internet sind die Parolen seiner Moskauer Trolle täglich präsent.
Die Kreml-Hacker dringen in die Netze der europäischen Länder ein, fischen Daten heraus, die dann in den europäischen Wahlen an geeigneter Stelle im Interesse des russischen Machtapparats eingesetzt werden.
Zerfällt Europa wird Putin versuchen, zumindest Osteuropa wieder ins autoritär regierte russische Reich einzugliedern.
Im schlechten Fall könnte es zu einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den USA und Russland auf europäischem Boden kommen, weil sich jeder seinen Anteil an der zerfallenden EU sichern will.
Europa, die Europäische Union, zählen zunächst zu den Brexit-Verlierern.
Die EU wird handels- und sicherheitspolitisch auf globaler Ebene geschwächt. Das hat Auswirkungen auf die Beziehungen zu den USA, zu China und zu Russland.
Aber auch mittlere und kleinere Staaten, auch aufstrebende Entwicklungsländer, werden ihren Blick vermehrt nach Peking und Washington wenden.
Anderseits hat der Brexit den Zusammenhalt unter den verbliebenen 27 EU-Mitgliedstaaten gestärkt.
Der Versuch der britischen Tory-Regierung, mit indirekter Hilfe aus Moskau und Washington, einen Keil in die EU zu schlagen, ist misslungen.
Aus den Brexit-Verhandlungen sind die europäischen Institutionen (das EU-Parlament, der EU-Rat und die EU-Kommission) gestärkt hervorgegangen.
Alle Mitgliedländer, auch Frankreich und Deutschland, haben die alleinige Verhandlungskompetenz des EU-Ratspräsidenten Tusk, des EU-Kommissionspräsidenten Juncker und des EU-Unterhändlers Barnier akzeptiert.
Alle Versuche der Briten, die europäischen Institutionen zu umgehen, sind gescheitert.
Das Brexit-Verfahren hat den EU-Mitgliedsländern ausserdem bewusst gemacht, dass Europa sicherheits- und verteidigungspolitisch auf eigenen Beinen stehen muss.
Auf den amerikanischen Schutzschild ist nach dem Austritt Grossbritanniens kein Verlass – mit oder ohne Trump.
Die Europäer müssen die Grenzen, den Luftraum und die Meere des Kontinents selbst schützen.
Die Migrationspolitik müssen sie in die eigenen Hände nehmen und verhindern, dass sie von andern als Druckmittel gegen Europa benutzt werden kann.
Druck auf Europa war einer der Hauptgründe Putins, Syrien mit einem Bombenkrieg zu überziehen, um eine Flüchtlingswelle nach Europa auszulösen.
Wem an Freiheit, Frieden und Wohlstand auf dem Kontinent gelegen ist, wird die Briten gehen lassen, aber Europa zusammenhalten.
Dazu haben in den EU-Mitgliedsländer alle EU-Bürger demnächst Gelegenheit, bei den Wahlen zum Europaparlament am 26. Mai 2019.
Wir Schweizer sind nur Zuschauer, aber vom Ergebnis mitbetroffen.
02.02.2019