Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Auf politischen Druck der Rechtsnationalen hat sich die Schweiz nach dem Nein zum EWR im Dezember 1992 für den sogenannten Bilateralen Weg entschieden.
Im Wissen um die Mängel der Bilateralen sah der Bundesrat darin ursprünglich eine Übergangslösung.
Wegen der sinkenden Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft hat er ab dem Jahr 2000 die Sichtweise geändert und die Bilateralen zum Königsweg erklärt.
Heute gelten die Bilateralen innenpolitisch als Dauerlösung. Mit einem institutionellen Rahmenabkommen sollen sie definitiv als Schweizer Königsweg verankert werden.
Die Bilateralen bedeuten Übernahme des europäischen Rechts, insbesondere des EU-Binnenmarktrechts, ins Landesrecht und zugleich Verzicht auf Mitbestimmung bei der Gestaltung des europäischen Rechts in den europäischen Gremien.
Das europäische Recht wird von den europäischen Gremien nach den Regeln der EU erlassen. In den EU-Gremien sind alle 28 Mitgliedstaaten vertreten.
Die massgebenden EU-Gremien sind:
Obwohl die Schweiz das europäische Recht übernimmt, ist sie in keinem dieser Gremien vertreten. Das ist der bilaterale Königsweg.
Mit dem Nein zum EWR wurde die Schweiz auf das bilaterale Gleis gestellt. Die Rechtsnationalen versprachen der Bevölkerung: mit den Bilateralen kann die Schweiz aus dem europäischen Recht das auslesen, was ihr passt, und den Rest weglassen.
Schon bei den Bilateralen I (1999) erwies sich das Versprechen als falsch. Die Schweiz konnte nur die sieben Abkommen en bloc akzeptieren oder dann eben auf eine Beteiligung am europäischen Binnenmarkt verzichten. Diese fatale Konsequenz der Bilateralen wird nach dem Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative zur bitteren Realität.
Im Dezember 2012 liess die EU die Schweiz wissen, die weitere Beteiligung am EU-Binnenmarkt setze voraus, dass Anpassung, Auslegung und Anwendung des EU-Binnenmarktrechts in der Schweiz homogen zur EU erfolgen. Die Homogenität müsse – wie für alle Mitgliedstaaten - rechtlich verbindlich durch den EuGH gewährleistet werden.
Der Binnenmarkt für Personen, Waren, Dienstleistungen und Finanztransaktionen kann nur funktionieren, wenn für alle Beteiligte am Binnenmarkt ein gemeinsamer Rechtsrahmen gilt, der eben auf europäischer Ebene festgelegt wird. Der Bundesrat hat dieses Prinzip im Dezember 2013 auch für die bilaterale Schweiz akzeptiert.
Eine Beteiligung am Binnenmarkt, ohne die Binnenmarktregeln einhalten zu müssen, ist nicht möglich, obwohl die gegenteilige Meinung in der Schweiz weit verbreitet ist und in den Medien immer wieder kolportiert wird.
Da die Schweiz – aus eigener freier Wahl - in keinem EU-Gremium mit Sitz und Stimme vertreten ist, weder in der Gesetzgebung, noch in der Exekutive, noch in der Rechtsprechung, gerät sie mit dem neuen bilateralen Schritt auf dem bilateralen Königsweg vollends in institutionelle Abhängigkeit von der EU, ohne jede Kompensation auf EU-Ebene.
Der Bundesrat, die Mehrheit des eidgenössischen Parlaments und die schweizerischen Wirtschaftsverbände sind der Meinung, der Bilateralismus gewährleiste die schweizerische Souveränität optimal.
Heute erfolgt die Übernahme des EU-Rechts durch die Schweiz – praktisch unbeachtet von der Öffentlichkeit – auf Verwaltungsebene durch sog. Gemischten Ausschüsse. Wenn – wie zB im Bereich des Finanzmarkts – kein Vertrag existiert, wird das EU-Recht von der Schweizer Bundesverwaltung einseitig in die Schweizer Gesetze geschrieben und vom Parlament akzeptiert.
Das hat nichts mehr mit Autonomie und Souveränität zu tun.
Den rechtsnationalen Kreisen ist es über die Jahre gelungen, die EU-RechtsübernahmemitMitwirkung in den EU-Gremien als Souveränitätsverlust zu plakatieren, die EU-RechtsübernahmeohneMitwirkung in den EU-Gremien hingegen – obwohl Nonsens - als Souveränitätsgewinn.
Warum? Weil das Thema Europäische Union innenpolitisch vergiftet und mit Denkverboten und Tabus belegt ist.
Die Wirtschaft hat sich in ihrem tatsächlichen Verhalten schon seit langem still und leise abgemeldet: für das Wirtschaftsrecht wird nicht in Bern, sondern – mit über hundert Leuten – in Brüssel lobbyiert.
Die Schweiz kann sich direktdemokratisch für die Beteiligung am EU-Binnenmarkt aussprechen. Hat sie dies getan, muss sie die EU-Binnenmarktregeln einhalten. Selbstverständlich kann sie direktdemokratisch auch jederzeit darauf verzichten, sich am EU-Binnenmarkt zu beteiligen.
Wird – wie mit der Masseneinwanderungsinitiative – suggeriert, die Schweiz können sich von einzelnen EU-Binnenmarktregeln verabschieden und dennoch weiterhin am Binnenmarkt beteiligt bleiben, wird die Bevölkerung mit Absicht in die Irre geführt.
Die heutige Übernahme des EU-Rechts auf dem Verwaltungsweg, unter Verzicht auf eine Beteiligung in den EU-Gremien, ist demokratisch deutlich schlechter legitimiert als eine EU-Rechtsübernahme mit Beteiligung von Schweizer Parlaments- und Regierungs-Vertretern in den EU-Gremien.
Die Schweiz hat ihr Verhältnis zur EU in den letzten 20 Jahren in mehreren Abstimmungen über die Bilateralen definiert und sich dabei selbst viel Sand in die Augen gestreut. Am 9. Februar 2014 – in der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative - ist dieses Konzept gescheitert.
Mit dem bundesrätlichen Vorhaben „Institutionelles Abkommen“ kommen die wesentlichen Fragen auf den Tisch.
Beteiligung am EU-Binnenmarkt bedeutet für jeden Beteiligten, ob Mitgliedland oder nicht, die Anerkennung der fünf Grundfreiheiten:
Mit der Anerkennung der fünf Grundfreiheiten ist die Anerkennung des EU-Binnenmarktrechts verbunden.
Die Schweiz ist selbstverständlich frei, auf eine Beteiligung am europäischen Binnenmarkt zu verzichten. Dann muss sie auch das EU-Binnenmarktrecht nicht akzeptieren.
Die Rechtsnationalen sind der Ansicht, die Schweiz brauche den Binnenmarkt nicht, auch wenn sie heute 60% ihres Aussenhandels über die EU abwickelt. Dementsprechend sind sie heute – nach dem gezielt herbeigeführten Scheitern der Bilateralen – für den Alleingang.
Die richtigen Abstimmungsfragen müssen daher lauten:
10.06.2014