Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Der Bundesrat hat am 29. Januar 2020 seine aussenpolitische Strategie für die Jahre 2020 – 2023 beschlossen.
Liest man die 40 Seiten, bleibt ein bestimmender Eindruck: weiter so wie bisher. Alles bleibt beim Alten, auch wenn rund um die Schweiz vieles in Bewegung ist.
Die Schweiz sitzt aussenpolitisch auf einer bequemen Zuschauerbank und kann in Ruhe abwarten, was sich auf dem Planeten tut. Das ist der Tenor.
Wenn sich USA, China und Russland um die globale Hegemonie streiten, kann die Sache so oder anders ausgehen.
Der SVP/FDP-Regierung erklärt alle drei Länder zu Schwerpunktländer ihrer aussenpolitischen Strategie. Bei jedem Ausgang ist die Schweiz auf der richtigen Seite – jedenfalls was die Grossmächte anlangt.
Das ist Neutralitätspolitik.
2016 hat der Bundesrat mit China eine «innovative strategische Partnerschaft» vereinbart. Darauf folgte eine eifrige Reisediplomatie zum chinesischen Regime unter dem Diktator Xi Jinping.
Ihm haben SVP BR Maurer und SVP BR Parmelin im April 2019 per Memorandum of Understanding versprochen, in der Schweiz mit Steuergeldern und mit öffentlichem Personal eine Plattform für sein Belt-and-Road-Projekt mitten in Europa bereit zu stellen.
Einem Regime, das laufend Menschen verschwinden lässt, die den Herrschenden unangenehm auffallen.
Belt-and-Road zieht wie ein Krake über Europa. Die Schweiz soll offenbar Zentrale für Interventionen der chinesischen Staatsmacht in Europa werden.
Die SVP/FDP-Regierung sieht das Projekt des chinesischen Alleinherrschers als einmalige Chance für schweizer Interessen und die einheimische Wirtschaft.Staaten mit autoritären Machthabern, die ihre Bevölkerung bis ins Schlafzimmer überwachen und Kritiker konsequent hinter Gitter setzen oder gar ermorden lassen, sind seit den Bundesratswahlen 2017/18 bevorzugte Reiseziele von Regierungsmitgliedern:
China, Russland, Iran, Türkei, Weissrussland, Saudiarabien.
Die meisten Kontakte pflegt FDP BR Cassis mit dem getreuen Gehilfen des Diktators Putin, dem Russen Lawrow.
Sind das die neuen Freunde? Ist das die neue aussenpolitische Strategie?
Die gemeinsame Verteidigung europäischer Werte wie individuelle Freiheitsrechte, Rechtsstaat, Demokratie und Gewaltenteilung gehören nicht zum aussenpolitischen Programm, obwohl diese für jeden Menschen in der Schweiz und anderswo weit wichtiger sind als Belt-and-Road.
Vielmehr geht es – laut SVP/FDP-Regierung – um die Wahrung nationaler Interessen. Was sind denn die schweizer Interessen, wenn nicht die Grundwerte unserer Verfassung?
Oder sind es die Geldinteressen einzelner politischer oder wirtschaftlicher Gruppen und Personen aus der Schweiz in den Potentatenländern?
Oder ist es die ideologische Zuneigung der Rechtsnationalen und ihrer Mitläufer aus der FDP zu autoritären Regimes?
Da kommt Europa ins Bild. Für den Wohlstand und die Sicherheit der Schweiz sei ein stabiles und prosperierendes Europa zentral, sagt der Bundesrat.
Das tönt, als ob die Schweiz nicht zu Europa gehören würde. Man ist nicht Teil von Europa, man hat allenfalls bilaterale Beziehungen zu Europa. Das ist die aussenpolitische Weltanschauung der SVP/FDP-Regierung, geprägt von den einheimischen Rechtsnationalen.
Folgerichtig lehnt die Regierung wie bisher jede Mitarbeit und Mitbestimmung in den europäischen Gremien, die in demokratischen Verfahren über die Zukunft Europas entscheiden, ab.
Das Europäische Parlament, der Europäische Rat und die Europäische Kommission sind für die SVP/FDP-Regierung ein No-Go und finden daher in ihrer aussenpolitischen Strategie auch keine Erwähnung.
Hingegen will der Bundesrat während zwei Jahren (2023/24) im UN-Sicherheitsrat Einsitz nehmen. Ein Gremium, das die Grossmächte seit Jahren mit ihrem Vetorecht blockieren.
Für die schweizer Bevölkerung hat der UN-Sicherheitsrat – ganz anders als die EU-Gremien – keine praktische Bedeutung. Trotzdem ist ein Sitz für zwei Jahre Hauptziel der aussenpolitischen Strategie.
Für Frieden und Sicherheit in Europa, dort wo die Schweiz nun einmal liegt, sind allein EU und NATO massgebend. In beiden Organisationen ist die Schweiz nicht vertreten.
Auf dem europäischen Kontinent ist sie das einzige Land von relevanter Grösse, das sich weder mit Geld, noch mit Soldaten für die gemeinsame europäische Sicherheit engagiert.
Den Schutz von EU und NATO kann die Schweiz, so die Ansicht der SVP/FDP-Regierung, unentgeltlich in Anspruch nehmen, weil sie „geografisch in die Mitte Europas eingebettet“ ist.
Diese Politik muss nicht weiter erklärt oder gar gerechtfertigt werden.
Und der Bilateralismus? Er wird im Strategiepapier nicht mehr – wie in früheren Verlautbarungen – als Königsweg propagiert.
Jetzt meint die SVP/FDP-Regierung, der Bilateralismus sei der „massgeschneiderte Ansatz zur Gestaltung der Beziehungen der Schweiz zur EU“. „Wo sinnvoll und im Interesse der Schweiz“ wolle man sich mit der EU und deren Mitgliedstaaten "abstimmen".
Eine Formulierung, die meint, der Bundesrat könne der EU auf Augenhöhe gegenübertreten. Diese Ansicht ist von der Realität weit entfernt.
Die EU ist eine multilaterale Organisation. 27 europäische Länder einigen sich in den europäischen Institutionen in demokratischen und durchaus langwierigen Prozessen auf gemeinsames verbindliches Recht.
Die schweizer Regierung hat als Outsider keinen Einfluss auf den europäischen Gesetzgebungsprozess. Für die Schweiz gilt – abgesehen von wenigen Ausnahmen - c'est à prendre ou à laisser.
Die Regierung übernimmt seit Jahren in grossem Umfang europäisches Recht – auch ausserhalb der Bilateralen Abkommen. Das meiste auf dem Verwaltungsweg, ohne den Gesetzgeber zu bemühen.
Seit Abschluss der Bilateralen Verträge 1999 hat die EU nie schweizer Recht für den europäischen Binnenmarkt übernommen.
Die Schweiz ist einseitig abhängig vom europäischen Recht und verliert laufend an Souveränität, ohne Kompensation auf europäischer Ebene.
Der autonome Nachvollzug ist die zentrale, aber nicht kommunizierte strategische Handlungsvorgabe. Er wird auf allen Politikfeldern immer weiter ausgebaut.
Der Bundesrat stellt zutreffend fest, die EU spiele bei der Formulierung von europäischen Standards und als Akteur in der kontinentalen Zusammenarbeit die führende Rolle.
Deshalb bleibt ihm, ausserhalb der europäischen Gremien, kein anderer Weg als der „massgeschneiderte“ autonome Nachvollzug.
Rechtsübernahme aus der EU ohne Mitbestimmung ist der Weg, den die SVP/FDP-Regierung der Schweiz auch für die Zukunft aufzwingen will. Mit Souveränität und Neutralität hat das nichts zu tun - eher mit Vasallentum.
Nach der aussenpolitischen Strategie 2020 – 2023 gilt weiter der Sonderfall:
Lieber eine scheinbare nationale Souveränität als eine geteilte reale Souveränität auf europäischer Ebene.
Alle anderen europäischen Länder bevorzugen die geteilte reale Souveränität in den europäischen Institutionen..
20.03.2020