Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Im Februar 2016 hat der Bundesrat seine Aussenpolitische Strategie 2016-2019 veröffentlicht.
Sein Kernziel ist es, „ein geregeltes, partnerschaftliches und ausbaufähiges Verhältnis zur EU sicherzustellen“.
Dabei setzt er nach wie vor auf den Bilateralen Weg, ohne diesen allerdings – wie in der Vergangenheit – als „Königsweg“ zu bezeichnen.
Der Bilaterale Weg sei eine Form der Zusammenarbeit, der den Ausbau und die Vertiefung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU ermögliche und in beiderseitigem Interesse sei.
Das Wortgebilde „Form der Zusammenarbeit“ ist irreführend.
Es geht im Bilateralismus nicht um Zusammenarbeit mit der EU, sondern um die laufende und integrale Übernahme des EU-Binnenmarktrechts und dessen homogene Anwendung in der Schweiz, ohne Beteiligung der Schweiz an der europäischen Rechtsetzung.
Auch wenn das Wording anders ist, handelt es sich beim schweizer Bilateralismus faktisch um einen Assoziationsvertrag mit der EU.
Beim Abschluss der Bilateralen Verträge I und II haben sich die damaligen schweizer Chefunterhändler alle Mühe gegeben, diesen Sachverhalt durch das gewählte Wording im Dunkeln zu lassen.
Die Verträge selbst enthalten primär Formalien, das zu übernehmende materielle europäische Recht wurde in die anpassungsfähigen Anhänge verschoben.
Mit den Bilateralen Verträgen partizipiert die Schweiz als Drittland am multilateralen EU-Binnenmarkt.
Solange sie dies tut, muss sie die von den EU-Mitgliedern festgelegten EU-Binnenmarktregeln übernehmen und einhalten. Sie kann diese Regeln weder in den Bilateralen Verträgen, noch unilateral in der Bundesgesetzgebung festlegen oder abändern.
Die Bilateralen Verträge beinhalten den Anschluss der Schweiz an den EU-Binnenmarkt. Der Regeln werden einseitig von den EU-Organen (Parlament, Rat, Kommission, EuGH) bestimmt.
Mit der Ablehnung der EU-Mitgliedschaft verzichtet die Schweiz unilateral freiwillig darauf, sich an der Rechtsetzung im EU-Binnenmarkt zu beteiligen. Im Bilateralismus ist die Schweiz einseitig abhängig von der EU.
Diese Realität wollte der Bundesrat in der Vergangenheit nicht ansprechen und will es auch heute nicht.
Seit gut zehn Jahren erweckt er mit einer irreführenden Kommunikation bei der Bevölkerung den Eindruck, es gehe um eine partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe im Sinne traditioneller Staatsverträge. Er tut dies in der Hoffnung, den Rechtsnationalen im Bundesrat und im Parlament auszuweichen.
Mit keinem Wort erwähnt er in seiner Strategie die Position der EU betreffend das Verhältnis zur Schweiz. Es besteht kein Interesse an einer öffentlichen realitätsbezogenen Lageanalyse, weil man jeder Auseinandersetzung mit den Rechtsnationalen aus dem Weg gehen will.
Nach der Masseneinwanderungs- und der Durchsetzungs-Initiative müsste dem Bundesrat klar sein, dass sich seine Hoffnungen in der Vergangenheit nicht erfüllt haben und sich auch in Zukunft nicht erfüllen werden.
Der Führer der Rechtsnationalen hat soeben eine Initiative zur Kündigung der Bilateralen Verträge in Aussicht gestellt.
Der EU-Rat hat unterstrichen, dass die Beziehungen EU / Schweiz nur auf der Basis einer vollen Respektierung der EU-Binnenmarktregeln durch die Schweiz entwickelt werden können. Die Schweiz sei an einem multilateralen Projekt beteiligt.
Eine Voraussetzung für den von der Schweiz gewünschten Ausbau der Beteiligung am EU-Binnenmarkt ist ein institutionelles Rahmenabkommen, welches die korrekte Anwendung des EU-Binnenmarktrechts in der Schweiz – wie bei einem EU-Mitglied – absichert.
Ohne ein solches Abkommen, erklärt der EU-Rat, wird die EU mit der Schweiz keine neuen Abkommen abschliessen.
Der Bundesrat sagt dazu, der Bilaterale Weg brauche einen institutionellen Rahmen, der es erlaube, „die bestehenden Verträge à jour zu halten“.
Damit umschreibt er die Pflicht der Schweiz, dynamisch, d.h. laufend über die Gemischten Ausschüsse auf Verwaltungsebene, neues oder geändertes EU-Binnenmarktrecht zu übernehmen.
Es geht indessen nicht nur um das à-jour-Halten, sondern um die Sicherstellung der Durchsetzung der bestehenden und künftigen EU-Binnenmarktregeln in der Schweiz mit entsprechenden institutionellen Vorkehren und Beteiligung der EU-Organe.
Dazu äussert sich der Bundesrat nicht.
Im Nachgang zur EWR-Abstimmung haben die Rechtsnationalen die Schweiz auf den Bilateralen Weg gezwungen.
Heute findet sich die Schweiz in einer Lage, die deutlich schlechter ist, als wenn sie EU-Mitglied wäre: Sie muss unter Kontrolle von EU-Organen das EU-Binnenmarktrecht übernehmen und anwenden.
Bezüglich dieser Pflicht ist die Schweiz einem EU-Mitglied praktisch gleichgestellt.
Anders als ein EU-Mitglied ist die Schweiz in den EU-Organen (EU-Parlament, EU-Rat, EU-Kommission, EUGH) nicht vertreten und hat zum Zustandekommen, zur Anwendung und Auslegung des EU-Rechts nichts zu sagen.
Eine Lage, die souveränitätspolitisch inakzeptabel ist.
Wenn sich die Schweiz derart ausgedehnt an einem multilateralen Rechtssystem beteiligt, muss sie sich auch am Erlass der multilateralen Normen beteiligen können.
Zur Masseneinwanderungsinitiative erklärt der Bundesrates, sein Ziel sei es, „eine einvernehmliche Lösung zu finden, die sowohl den neuen Artikel 121a der Bundesverfassung als auch das Abkommen über die Personenfreizügigkeit respektiert.“
Der Bundesrat verschweigt, dass trotz seinem Insistieren, alle zuständigen EU-Organe, die EU-Kommission, der EU-Rat und das EU-Parlament, Verhandlungen über eine Änderung des Personenfreizügigkeitsabkommens formell abgelehnt haben.
Seit Annahme der Initiative, vor zwei Jahren am 9. Februar 2014, haben keine Verhandlungen stattgefunden.
Der EU-Rat hat dem Bundesrat mitgeteilt, bei der Personenfreizügigkeit handle es sich um eine fundamentale Säule des EU-Binnenmarktes, die nicht zur Disposition stehe. Kontingentierung und Schweizervorrang nach 121a BV widersprechen der Personenfreizügigkeit im Binnenmarkt.
Dennoch spricht der Bundesrat im Februar 2016 von einer „einvernehmlichen Lösung“, allerdings ohne etwas über deren Inhalt zu sagen.
Seine Taktik geht offenbar dahin, den Tag der Wahrheit solange hinauszuschieben, bis äussere Zwänge die Schweiz vor die Alternative stellen, die Beteiligung der Schweiz am EU-Binnenmarkt zu kündigen oder – in Abhängigkeit von der EU mit einem institutionellen Abkommen – weiter zu führen.
Nach 121a BV kann die Schweiz das Kroatien-Abkommen nicht mehr abschliessen, da mit dem Abschluss sowohl Kontingentierung wie Schweizervorrang am Arbeitsmarkt für kroatische EU-Bürger ausgeschlossen sind. Der Bundesrat schreibt, er strebe auch hier eine „einvernehmliche Lösung“ mit der EU an.
Er skizziert die Lösung: Artikel 14 des geltenden Personenfreizügigkeitsabkommens soll so interpretiert werden, dass die Schweiz – trotz 121a BV – das Kroatien-Abkommen ratifizieren kann.
Nach dieser Bestimmung kann der Gemischte Ausschuss EU / Schweiz bei schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen geeignete Abhilfemassnahmen zu prüfen.
Nach 121a BV regelt die Schweiz die Zuwanderung von Ausländern eigenständig. Es dürfen keine völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen werden, die dagegen verstossen.
Eine eigenständige Regelung der Zuwanderung von EU-Bürgern aus Kroatien ist nach Artikel 14 PFZA ausgeschlossen. Es bleibt spannend, wie der Bundesrat durch kreative Interpretation dieser „Schutzklausel“ den Widerspruch zwischen 121a BV und PFZA auflösen will.
Offenbar steht ihm ein Gutachten zur Verfügung, wonach es sich beim Kroatien-Abkommen nicht um einen neuen völkerrechtlichen Vertrag handle, sondern nur um die Anpassung eines bestehenden. Auch hier ist die bundesrätliche Taktik auf Zeitgewinn ausgerichtet.
Neu ist das bundesrätliche Wording bezüglich des schweizerischen Kohäsionsbeitrags an die EU. Früher umschrieb er den Beitrag als Fortführung und Neuausrichtung der schweizerischen Osthilfe nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, um den Eindruck zu vermeiden, die Schweiz zahle Geld an die EU.
In der Strategie 2016 -2019 stellt er die Erneuerung des schweizerischen „Erweiterungsbeitrags zur Reduzierung der sozialen und ökonomischen Unterschiede in der erweiterten EU“ in Aussicht.
Damit wählt er in diesem Punkt erstmals eine faktenbezogene Kommunikation. Die Schweiz muss aufgrund ihrer Teilnahme am EU-Binnenmarkt ihren Beitrag leisten wie jedes EU-Mitglied, allerdings ohne in den EU-Organen vertreten zu sein.
Bisher war von „Osthilfe“ die Rede.
Ob es sich lohnt, in der Europa-Politik mit verdeckten, statt mit offenen Karten zu spielen ist zweifelhaft. Am Tag der Volksabstimmung über die weitere Beteiligung der Schweiz am EU-Binnenmarkt könnte viel Vertrauen verspielt sein.
Der bundesrätliche „Bilaterale Weg“ mit dem Kernziel, „ein geregeltes, partnerschaftliches und ausbaufähiges Verhältnis zur EU sicherzustellen“ könnte in einem Fiasko enden.
25.02.2016