Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Warum besteht die Europäische Union auf institutionellen Regeln im bilateralen Verhältnis zur Schweiz?
Warum lehnt es die EU ab, ohne solche Regeln der Schweiz einen erweiterten Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu gestatten, beispielsweise im Finanzmarkt oder im Energiemarkt?
Am 17. Dezember 2004 hat das schweizer Parlament ein Gesetz zu den Bilateralen II beschlossen, das seit 1. April 2006 in Kraft ist.
Das Entsendegesetz macht Vorschriften für ausländische Betriebe, die in der Schweiz Arbeiten ausführen wollen.
Das Gesetz wirkt sich insbesondere im Baugewerbe aus. Wie die Erfahrungen seit 2006 zeigen, verhindert es faktisch die Tätigkeit von Handwerksbetrieben aus den angrenzenden EU-Ländern in der Schweiz.
Das schweizer Entsendegesetz schreibt vor:
Die Schweiz hat sich 1999 in den Bilateralen Verträgen I gegenüber der EU verpflichtet, EU-Betriebe bezüglich der Ausführung von Arbeiten in der Schweiz nicht schlechter zu behandeln als inländische schweizer Betriebe.
Sie hat sich damit verpflichtet, das Diskriminierungsverbot des europäischen Rechts einzuhalten.
Schweizer Betriebe unterstehen vor der Ausführung von Aufträgen keiner gebührenpflichtigen Formular- und Meldepflicht und müssen nicht 8-Tage warten, bis sie nach einer Meldung mit den Arbeiten beginnen können.
Aus diesem Grund beurteilt die EU die Acht-Tage-Regel als eine nach europäischem Recht verbotene diskriminierende protektionistische Massnahme.
Der Gemischte Ausschuss, bestehend aus Beamten der Schweiz und der EU, hat das Thema seit 2006 wiederholt behandelt – ohne Ergebnis. Die schweizer Beamten lehnten im Auftrag des Bundesrates eine Änderung der Acht-Tage-Regel stets ab.
Am 5. Dezember 2008 stellt der EU-Rat (Regierungen der 28 EU-Länder) erstmals fest, dass die Acht-Tage-Regel das europäische Recht verletzt. Die Schweiz liess diese Mitteilung des Vertragspartners unbeachtet.
Da sich nichts bewegte, teilte der EU-Rat am 16. Dezember 2014 dem Bundesrat offiziell mit, über die von der Schweiz gewünschten weiteren Zugänge zum europäischen Binnenmarkt können nicht verhandelt werden, solange für die bestehenden und künftigen Abkommen kein institutioneller Rahmen bestehe, damit das europäische Recht nicht nur in den 31 EU/EWR-Ländern, sondern auch in der Schweiz nicht-diskriminierend angewendet werden kann.
Hätte sich der Bundesrat bezüglich der Acht-Tage-Regel im Gemischten Ausschuss früher flexibler gezeigt, wäre vermutlich die Forderung der EU nach einem institutionellen Abkommen unterblieben.
Der Bundesrat war der Ansicht, mit seinem Veto im Gemischten Ausschuss sei die Angelegenheit erledigt. Eine grobe Fehleinschätzung mit nachteiligen Folgen für das Land.
Die Verhandlungen kamen allerdings zu keinem Ergebnis, da der Bundesrat auf dem Standpunkt beharrte, die Schweiz allein wolle entscheiden, ob das europäische Recht in der Schweiz eingehalten sei. Eine Änderung der Acht-Tage-Regel komme nicht in Betracht.
Eine weitere fatale Fehleinschätzung des Bundesrats betreffend seine Verhandlungsmacht.
Am 28. Februar 2017 teilte der EU-Rat dem Bundesrat mit, die Verhandlungen sollten endlich zu einem Abschluss gebracht werden. Der Bundesrat stellt einen Abschluss zwar in Aussicht, konkrete Fortschritte blieben aber aus,da der Bundesrat an seinem Standpunkt unverändert festhielt.
Erst die Neuregelung des Börsenhandels im europäischen Recht veranlasste die schweizer Regierung zu einer Korrektur ihrer Haltung.
Seit 3. Januar 2018 gelten in der EU neue Finanzmarktvorschriften (MIFID II / MIFIR). Danach können Wertpapierhändler aus der EU nur dann in der EU kotierte Wertpapiere in Drittländern handeln, wenn die dortigen Börsenregeln von der EU-Kommission als gleichwertig mit denjenigen der EU-Börsen anerkannt werden.
Am 20. Dezember 2017 teilte die EU-Kommission dem Bundesrat mit, die schweizer Börse erhalte die Äquivalenz-Anerkennung befristet nur für ein Jahr.
Dabei verwies die Kommission auf den Beschluss des EU-Rates vom 16. Dezember 2014, wonach die EU – solange kein institutionelles Abkommen besteht – bei neuen Abmachungen von Fall zu Fall entscheiden werde, ob die Interessenlage ausgewogen sei.
Da es der Bundesrat seit 2006 ablehnte, über die diskriminierende Acht-Tage-Regel zu diskutieren und eine nicht-diskriminierende Lösung zu finden, erachtete die EU die Interessenlage nicht mehr als ausgewogen.
In der Schweiz wiederum hat das öffentliche Entrüstung in den nationalen Medien ausgelöst, mit dem Tenor, die EU wolle die Schweiz erpressen.
Allerdings hat sich der Bundesrat recht schnell entschieden, nun doch vor Ende 2018 ein institutionelles Abkommen anzupeilen.
Dabei fokussiert er sich zum Thema Streiterledigung auf eine Lösung entsprechend dem Assoziierungsabkommen EU / Ukraine 2014.
In diesem Abkommen ist für Streitfragen ein Schiedsgericht vorgesehen.
Geht es allerdings um die Auslegung einer Bestimmung des europäischen Rechts, so entscheidet das Schiedsgericht die Frage nicht, sondern legt sie dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Entscheidung vor. Die Entscheidung des EuGH ist für das Schiedsgericht bindend.
Im Streit betreffend die Acht-Tage-Regel geht es um die Auslegung des Diskriminierungsverbotes des europäischen Rechts. Übernimmt die Schweiz die Regelung des EU / Ukraine-Abkommens wird der EuGH darüber befinden, ob die seit 2006 in der Schweiz für EU-Betrieb geltende Acht-Tage-Regel dem europäischen Recht entspricht oder nicht.
Klüger wäre es, wenn die Schweiz selbst die Acht-Tage-Regel aufheben und sich für Betriebe aus der EU-Nachbarschaft auf eine Meldepflicht ohne unverhältnismässiges bürokratisches Brimborium beschränken würde.
01.04.2018